Dies ist der erste Artikel von dreien, in denen verschiedene Wirtschaftstheorien dargestellt werden. Sie konzentrieren sich darauf, in absolut knapper Form die Grundlagen der jeweiligen Theorie darzustellen. Auf eine Kritik oder eine Überprüfung der Realitätsnähe wird bewusst verzichtet. Basis aller drei Artikel ist ein online Seminar Einführung Wirtschafstheorien der Rosa Luxemburg Stiftung, an dem ich im Juni 2023 teilgenommen habe. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Neoklassik, die zweite Artikel mit Keynes, der über Marx folgt noch.
Grundannahmen
Die Neoklassik entstand im 19. Jahrhundert mit dem aufkommenden Kapitalismus und bildet bis heute eine der führenden Erklärungsansätze, wie Wirtschaft in unserem System funktioniert. Im Zentrum steht die Analyse der Verteilung der Güter auf die Konsument*innen bei gegebener Produktionsfaktoren (Kapital, Boden, Arbeit) und die Frage, wie die vorhandenen knappen Ressourcen genutzt werden müssen, um eine bestmögliche Bedürfnisbefriedigung zu erreichen. Dabei geht die Neoklassik von einer Reihe von Grundannahmen aus.
Der Mensch ist ein Homo Oeconomicus
Subjekte, die miteinander Güter tauschen, besitzen lückenlose Information über den Tausch und mögliche Alternativen. Sie handeln rational in dem Sinn, dass sie bei einem Tausch Kosten und Nutzen abwägen und die Entscheidung treffen, die ihnen bei gleichen Kosten den meisten Nutzen erbringt, oder bei gleichem Nutzen die geringsten Kosten verursacht. Dabei handeln sie egoistisch, das heißt, sie berücksichtigen nur ihren eigenen Nutzen, nicht den anderer Witschaftssubjekte. Und schließlich sind ihre Bedürfnisse im Prinzip unendlich, das heisst, es gibt keine natürliche Grenze, ab der sie nicht mehr interessiert sind Güter zu tauschen. Diese vier Faktoren machen den Mensch zum homo oeconomicus.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage
Aus der Annahme, dass die Bedürfnisse im Prinzip unendlich sind, ergibt sich auch die Folgerung, dass nie zu viel produziert werden kann. Jedes Angebot findet unmittelbar seine Abnehmer*in. Oder wie es Jean Baptiste Say in seinem Werk formulierte:
„Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte.“
Jean Baptiste Say: A treatise on political economy: or The production distribution and consumption of wealth. Translated from the fourth edition of the French. Batoche Books Kitchener 2001, S. 57.
Aus diesem Say‘schen Theorem lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die Neoklassik eine angebotsorientierte Wirtschaftstheorie ist.
Der Wert einer Ware drückt sich im Preis aus
Stellt sich schließlich die Frage, in welchem Verhältnis Güter miteinander getauscht werden. Basierend auf dem egoistischen Verhalten des Homo Oeconomicus kann der Aufwand, den die Tauschpartnerin für die Herstellung eines Gutes verwendete, keine Rolle spielen. Er wird so lange nachfragen, wie der Erwerb eines weiteren Gutes ihm zusätzlichen Nutzen bringt (Grenznutzen). Umgekehrt wird die Tauschpartnerin so lange Güter produzieren und zum Tausch anbieten, so lange die Kosten des letzten Gutes geringer sind, als der sich daraus ergebende Nutzen, in diesem Fall der zu erzielende Gegenwert (Grenzkosten). Mit anderen Worten, der Grenznutzen, limitiert die kauffähige Nachfrage und die Grenzkosten das mögliche Angebot. Aus dem Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage ergibt sich schließlich der Preis eines Gutes.
Die Nutzentheorie ist eine der entscheidenden Unterschiede zur klassischen Ökonomie und der daraus aufbauenden Marx‘schen Wertlehre, die von völlig anderen Annahmen ausgeht. In der Neoklassik besitzt ein Wirtschafts gut keinen objektiven Wert.
Die unsichtbare Hand des Marktes
Aus makroökonomischer Perspektive ist es nicht weiter notwendig, sich über die Preisbildung Gedanken zu machen, da diese sich auf dem Markt durch eine Vielzahl von Einzeltransaktionen vollzieht, ohne dass irgend jemand steuernd eingreifen muss. Wir sind damit bei der unsichtbaren Hand des Marktes angelangt. Der Markt sorgt für den richtigen und vollständigen Einsatz der knappen Produktionsfaktoren, gibt Anreize für Innovationen (weil diese Kosten sparen und Wettbewerbsvorteile bringen) und sorgt für eine Pareto-optimale Verteilung des Wohlstandes, ein Zustand, in dem es nicht mehr möglich ist, etwas zu verbessern, ohne gleichzeitig etwas anderes zu verschlechtern.
Damit dies aber alles gelingt, muss der Markt ein funktionierender Markt sein. es muss garantiert sein, dass das Eigentum geschützt ist, dass der Tausch freiwillig stattfindet, dass die Preisbildung nicht behindert wird und dass es einen freien Wettbewerb gibt.
Entstehung von Krisen
Die Neoklassik geht davon aus, dass Arbeits-, Güter- und Finanzmärkte zur Selbstregulierung neigen und ohne verzerrende staatliche Eingriffe zu einer Gleichgewichtssituation tendieren. Finanzkrisen und Spekulationsblasen haben in dieser Theorie keinen Platz. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit oder Überproduktion werden ausgeschlossen.
Entstehen dennoch Krisen, so sind sie immer auf externe Faktoren zurückzuführen, die einen funktionierenden Markt stören.
Rolle des Staates
Diese Störfaktoren auszuschalten ist nach Ansicht der Neoklassik die Rolle des Staates. Für manche Güter bildet sich überhaupt kein Markt heraus, weil die Nutzung dieses Gutes nicht ausschließlich irgendwelchen Käufer*innen zugesichert werden kann. Als Beispiel sei die Beleuchtung von Straßen genannt. Hier entsteht kein Qualitätsverlust, wenn es mehrere Menschen nutzen und der Ausschluss einzelner Nutzer*innen ist in der Regel nicht möglich. Hier muss der Staat einspringen und diese Güter zur Verfügung stellen.
Durch entsprechende Wettbewerbsgesetze und Kontrollen muss der Staat dafür sorgen, dass freier Wettbewerb, existiert, indem er Monopole und Kartelle einhegt oder zerschlägt.
Vor allem aber muss er die Eigentumsrechte absichern, die ja Grundlage für den gesamten Marktmechanismus und den dort stattfindenden Tausch bilden.
Die Funktion des Geldes
Eine der Leerstellen der Neoklassik bildet die Theorie des Geldes. Es wird lediglich als Tauschmittel betrachtet und hat keine eigenständige Rolle in der Wirtschaft.