Wenn man dem statistischen Bundesamt folgt, dann sind etwa 80 % des Kapitalstocks in Deutschland Grund und Boden und darauf errichtete Gebäude. Etwa die Hälfte des Bodens wird landwirtschaftlich genutzt, ein Viertel ist Wald. Das übrige Viertel teilen sich Industrie, Wohnen, Verkehr und Sonstiges auf. Das kann man zumindest in der FAZ nachlesen. Wer die Eigentümer sind, darüber gibt es keine Statistiken, nur Vermutungen. Aber wer auch immer sie sind, so beziehen sie doch aus der Nutzung von Grund und Boden ein, wie die bürgerliche Ökonomie so treffend sagt, leistungsloses Einkommen. Woher kommt dieses Einkommen? Wer erbringt die Leistung dafür? Damit hat sich Karl Marx im Dritten Band des Kapitals beschäftigt. Er nennt es Grundrente.
Die Grundrente ist, neben dem Zins, eine der Formen, über den der Mehrwert, der in der Produktion geschaffen wird, zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen aufgeteilt wird.
Die Voraussetzung bei der kapitalistischen Produktionsweise ist also diese: die wirklichen Ackerbauer sind Lohnarbeiter, beschäftigt von einem Kapitalisten, dem Pächter, der die Landwirtschaft nur als ein besondres Exploitationsfeld des Kapitals, als Anlage seines Kapitals in einer besondern Produktionssphäre betreibt. Dieser Pächter-Kapitalist zahlt dem Grundeigentümer, dem Eigentümer des von ihm exploitierten Bodens, in bestimmten Terminen, z.B. jährlich, eine kontraktlich festgesetzte Geldsumme (ganz wie der Borger von Geldkapital bestimmten Zins) für die Erlaubnis, sein Kapital in diesem besondern Produktionsfeld anzuwenden. Diese Geldsumme heißt Grundrente, einerlei ob sie von Ackerboden, Bauterrain, Bergwerken, Fischereien, Waldungen usw. gezahlt werde…….. Die Grundrente ist also hier die Form, worin sich das Grundeigentum ökonomisch realisiert, verwertet. Wir haben ferner hier alle drei Klassen, welche den Rahmen der modernen Gesellschaft konstituieren, zusammen und einander gegenüber – Lohnarbeiter, industrieller Kapitalist, Grundeigentümer (MEW 25, 631)
Marx beschäftigt sich im Kapital mit verschiedenen Formen der Grundrente. Er beginnt mit der Differentialrente. Diese schöpft -anders als der Zins- nur den Extraprofit (Surplusprofit) ab, der dadurch erzeugt wird, dass der individuelle Produktionspreis durch die Nutzung einer monopolisierten Naturkraft (nur man selbst kann sie nutzen) geringer ist als der allgemeine Produktionspreis.
Marx erläutert dies am Beispiel eines Wasserfalls.
Der Surplusprofit, der aus dieser Benutzung des Wasserfalls entspringt, entspringt daher nicht aus dem Kapital, sondern aus derAnwendung einer monopolisierbaren und monopolisierten Naturkraft durch das Kapital. (MEW 25, 659)
Immer wenn eine monopolisierte Naturkraft genutzt wird, senkt diese den Produktionspreis. Daraus ergibt sich die Möglichkeit eines Extraprofits.
Sie (die Differentialrente [eingefügt: HM]) entspringt aus der größren naturwüchsigen Produktivkraft der Arbeit, gebunden an die Benutzung einer Naturkraft, aber nicht einer Naturkraft, die allem Kapital in derselben Produktionssphäre zur Verfügung steht, wie z.B. die Elastizität des Dampfs; deren Anwendung sich also nicht von selbst versteht, sobald überhaupt Kapital in dieser Sphäre angelegt wird. Sondern einer monopolisierbaren Naturkraft, die wie der Wasserfall nur denen zur Verfügung steht, die über besondre Stücke des Erdbodens und seine Appartenentien zu verfügen haben. Es hängt durchaus nicht vom Kapital ab, diese Naturbedingung größrer Produktivkraft der Arbeit ins Leben zu rufen, in der Art, wie jedes Kapital Wasser in Dampf verwandeln kann. Sie findet sich nur lokal in der Natur vor, und ist da, wo sie sich nicht vorfindet, nicht herstellbar durch bestimmte Auslage von Kapital. Sie ist nicht gebunden an durch Arbeit herstellbare Produkte wie Maschinen, Kohlen etc., sondern an bestimmte Naturverhältnisse bestimmter Teile des Bodens. Der Teil der Fabrikanten, der die Wasserfälle besitzt, schließt den Teil, der sie nicht besitzt, von der Anwendung dieser Naturkraft aus, weil der Boden und noch mehr der mit Wasserkraft begabte Boden beschränkt ist. (MEW 25, 658)
Dieser Extraprofit wird als Grundrente an den Grundeigentümer abgeführt. Dadurch erscheint er für den Produzenten als Teil des Produktionspreises und verteuert deshalb das Bodenprodukt.
Der so entstandene Extraprofit (der dem Grundeigentümer zufällt) geht nicht in die allgemeine Profitrate ein. Normalerweise sind Extraprofite ja nur temporär, weil sie durch die Konkurrenz im Laufe der Zeit ausgeglichen werden. Solche Extraprofite können zum Beispiel durch die Nutzung von landwirtschaftlichen Maschinen entstehen. Diese Nutzung kann von jedem Konkurrenten nachgemacht werden, was den Extraprofit wieder zunichte macht (was bedeutet, dass die allgemeine Profitrate dadurch gesenkt wird).
Anders der Extraprofit, der durch die Nutzung eines besonders fruchtbaren Bodens entsteht. Dieser fruchtbare Boden ist einmalig (er ist ein Monopol) und kann deshalb durch die Konkurrenz nicht ausgeglichen werden. Das wiederum bedeutet, dass dieser Extraprofit beständig erhalten bleibt.
Würde dieser Extraprofit nun bei den Produzenten verbleiben, so hätte dies die Folge, dass die Profitrate in diesem Industriezweig dauerhaft höher wäre als die durchschnittliche Profitrate in der gesamten Wirtschaft. Dies wiederum würde mehr Kapital in diesen Industriezweig ziehen. Dies wird dadurch verhindert, dass eine Grundrente erhoben wird, die den Extraprofit abschöpft und dadurch auch in diesem Industriezweig das Gesetz der durchschnittlichen Profitrate greift.
Die Differentialrente setzt voraus, dass jeder Boden aufgrund seiner Beschaffenheit einen Extraprofit erwirtschaftet. Nun gibt es aber auch Böden, die dies nicht tun (Marx zeigt in einem Beispiel von vier Böden, dass der schlechteste Boden (im folgenden Zitat Boden A) eigentlich keinen Extraprofit abwerfen kann). Aber auch für diesen Boden wird eine Grundrente erhoben.
Erstens: der Preis des Bodenprodukts der Klasse A wäre nicht reguliert durch seinen Produktionspreis, sondern enthielte einen Überschuß über diesen, wäre = P + r. Denn die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Normalität vorausgesetzt, also vorausgesetzt, daß der Überschuß r, den der Pächter an den Grundeigentümer zahlt, weder einen Abzug vom Arbeitslohn, noch vom Durchschnittsprofit des Kapitals darstellt, kann er ihn nur dadurch zahlen, daß sein Produkt sich über dem Produktionspreis verkauft, ihm also einen Surplusprofit abwerfen würde, hätte er nicht diesen Überschuß in der Form der Rente an den Grundeigentümer abzutreten. Der regulierende Marktpreis des gesamten, auf dem Markt befindlichen Produkts aller Bodenarten wäre dann nicht der Produktionspreis, den das Kapital überhaupt in allen Produktionssphären abwirft, d. h. ein Preis gleich den Auslagen plus dem Durchschnittsprofit, sondern er wäre der Produktionspreis plus der Rente, P + r, nicht P. Denn der Preis des Bodenprodukts der Klasse A drückt überhaupt die Grenze des regulierenden allgemeinen Marktpreises aus, des Preises, zu dem das Gesamtprodukt geliefert werden kann, und reguliert sofern den Preis dieses Gesamtprodukts. (MEW 25, 756)
Die Voraussetzung, die Marx hier macht, ist, dass der Marktpreis des Produkts von individuellen Produktionspreis des schlechtesten Produzenten (hier Boden A) abhängt. Das wiederum bedeutet, dass der allgemeine Marktpreis über dem allgemeinen Produktionspreis liegen muss, was dadurch zu Stande kommt, dass die Nachfrage über dem Angebot liegt.
Mit anderen Worten: der schlechteste Boden kann so lang bebaut werden, solange die Nachfrage den Absatz dieser Produkte garantiert.
Der Marktpreis muß also über den Produktionspreis gestiegen sein zu P + r, so daß dem Grundeigentümer eine Rente gezahlt werden kann. Da das Grundeigentum der Voraussetzung nach ohne die Verpachtung nichts einträgt, ökonomisch wertlos ist, so ist ein geringes Steigen des Marktpreises über den Produktionspreis hinreichend, um den neuen Grund und Boden schlechtester Sorte in den Markt zu bringen. (MEW 25, 766)
Diese Form der Rente nennt Marx absolute Grundrente. Auch diese Form der Grundrente wird aus dem Extraprofit bezahlt.
Da aber der Wert der vom agrikolen Kapital produzierten Waren der Voraussetzung nach über ihrem Produktionspreis steht, bildet diese Rente (einen gleich zu untersuchenden Fall ausgenommen) den Überschuß des Werts über den Produktionspreis oder einen Teil davon. .(MEW 25, 770)
Marx sagt, der Wert dieser Produkte sei größer als ihr Produktionspreis. Dies erklärt er mit der geringen organischen Zusammensetzung des Kapitals in der Landwirtschaft (der Anteil des variablen Kapitals ist ungleich höher als die des konstanten Kapitals, oder mit anderen Worten in der Landwirtschaft arbeiten viele Menschen mit wenigen Maschinen). Die absolute Grundrente wird erzielt aus der Differenz zwischen Wert und Produktionspreis. Das bedeutet, diese Produkte werden unter ihrem Wert verkauft.
Das Wesen der absoluten Rente besteht also darin: gleich große Kapitale in verschiednen Produktionssphären produzieren, je nach ihrer verschiednen Durchschnittszusammensetzung, bei gleicher Rate des Mehrwerts oder gleicher Exploitation der Arbeit, verschiedne Massen von Mehrwert. In der Industrie gleichen sich diese verschiednen Massen von Mehrwert zum Durchschnittsprofit aus und verteilen sich auf die einzelnen Kapitale gleichmäßig als auf aliquote Teile des Gesellschaftskapitals. Das Grundeigentum, sobald die Produktion Grund und Boden braucht, sei es zur Agrikultur, sei es zur Extraktion von Rohstoffen, hindert diese Ausgleichung für die im Boden angelegten Kapitale und fängt einen Teil des Mehrwerts ab, der sonst in die Ausgleichung zur allgemeinen Profitrate eingehn würde. Die Rente bildet dann einen Teil des Werts, spezieller des Mehrwerts der Waren, der nur statt der Kapitalistenklasse, die ihn aus den Arbeitern extrahiert hat, den Grundeigentümern zufällt, die ihn aus den Kapitalisten extrahieren. (MEW 25, 779)
Marx geht bei der Entwicklung des Konzepts der Grundrente von einer bestimmten historischen Situation, einem Entwicklungsstand der Produktivkräfte in der Landwirtschaft aus, die heute nicht mehr zutrifft. Zumindest in den Industrieländern (für die Länder des globalen Südens wäre das zu überprüfen) ist die organische Zusammensetzung des Kapitals eine völlig andere.
Das aber hat zur Folge, dass der Unterschied zwischen Wert und Produktionspreis zumindest ein geringerer ist, wenn er nicht ganz verschwindet. Damit würde aber auch die Grundlage für die Erzielung der Grundrente verschwinden.
Über diese Frage gibt es wohl eine umfassende Diskussion, die ich aber aus Unkenntnis nicht wiedergeben kann.
Fragen:
Wieso hat der Boden einen Preis, obwohl er keinen Wert hat?
Der Preis des Bodens errechnet sich aus der Grundrente. Aus der Sicht des (zukünftigen) Eigentümers muss sich der Kauf des Bodens ebenso rentieren wie jede andere Anlage, für die er einen Zins bekäme. Die Rente, die er aus der Vermietung des Bodens erzielen kann, muss mindestens diesem Zins entsprechen. Marx spricht in diesem Zusammenhang von der Kapitalisierung der Rente.
Der Eigentümer zahlt also eigentlich einen Preis für die Möglichkeit, aus dem Eigentum am Boden eine Rente zu erzielen, nicht für den Boden selbst.
Es ist die so kapitalisierte Grundrente, die den Kaufpreis oder Wert des Bodens bildet, eine Kategorie, die prima facie, ganz wie der Preis der Arbeit irrationell ist, da die Erde nicht das Produkt der Arbeit ist, also auch keinen Wert hat. Andrerseits aber verbirgt sich hinter dieser irrationellen Form ein wirkliches Produktionsverhältnis. Kauft ein Kapitalist Grund und Boden, der eine jährliche Rente von 200 Pfd.St. abwirft, für 4000 Pfd.St., so bezieht er den durchschnittlichen jährlichen Zins zu 5% von 4000Pfd.St., ganz ebenso, wie wenn er dies Kapital in zinstragenden Papieren angelegt oder es direkt zu 5% Zinsen ausgeliehen hätte. Es ist die Verwertung eines Kapitals von 4000 Pfd.St. zu 5%. Unter dieser Voraussetzung würde er in 20 Jahren den Einkaufspreis seines Guts durch dessen Einkünfte wieder ersetzt haben. In England wird daher der Kaufpreis von Ländereien nach soundso viel years‘ purchase 1 berechnet, was nur ein andrer Ausdruck für die Kapitalisierung der Grundrente ist. Es ist in der Tat der Kaufpreis, nicht des Bodens, sondern der Grundrente, die er abwirft, berechnet nach dem gewöhnlichen Zinsfuß. Diese Kapitalisierung der Rente setzt aber die Rente voraus, während die Rente nicht umgekehrt aus ihrer eignen Kapitalisierung abgeleitet und erklärt werden kann. Ihre Existenz, unabhängig von dem Verkauf, ist vielmehr hier die Voraussetzung, von der ausgegangen wird. (MEW 25, 636)