Nach der Eroberung der Fünf Neuen Kolonien 1989 und dem Fall des Sozialistischen Lagers triumphierte in Europa lange Jahre die Ideologie der Grenzenlosigkeit. Die Deutsche Grenze fiel, das Schengener Abkommen hob die EU-Binnengrenzen auf, euphorisch proklamierte man das Ende von Grenzen.
Diese Sichtweise ist in den letzten Jahren radikal gekippt. Grenzen errichten ist angesagt: gegen in der EU und den USA Zuflucht suchende Migranten, gegenüber chinesischen Firmenübernahmen, gegen die Islamisierung der Gesellschaft und vieles mehr.
Diese Änderung der Sichtweise hat mit der damaligen und heutigen Realität jedoch wenig zu tun. Während der Schengenraum die Binnengrenzen nur verschob, sich aber um so mehr abschottete, gilt heute zum Beispiel nach wie vor das Credo der Kapitalfreiheit über Grenzen hinweg.
Die Forderung nach geschlossenen oder offenen Grenzen ist immer von unterschiedlichen Interessen bestimmt, das ist das erste, was man dem Buch von Andrea Komlosy entnehmen kann. Beide Seiten instrumentalisieren den Grenzbegriff im Hinblick darauf, wie Grenze dem eigenen Wohlergehen jetzt oder in der Zukunft nutzt.
Diese erste Einsicht ist schon hilfreich, weil sie dazu dienen kann, die Diskussion um Grenzen von moralischen Kategorien zu befreien, denn -die zweite Einsicht-: Grenzen kann man sich zwar wegwünschen, aber sie sind eine Grundkonstante im Zusammenleben von Menschen und Gemeinwesen. Diese Erkenntnis vermittelt Komlosy mit einer Fülle von historischem Material und zeigt dabei auf, dass Grenze eben kein Wunsch- und auch kein Feindbild ist, sondern dass sie in bestimmten historischen Situationen ungerechte Zustände perpetuiert, in anderen aber auch ein Schutz- und Befreiungspotential beinhaltet. Grenze ist nicht per se gut oder schlecht, sondern muss im historischen und vor allem im sozialen Kontext gesehen und bewertet werden. Auch und gerade daraus kann man einen Standpunkt gewinnen.
Ein Buch zu einem aktuellen Thema, das den Blick sowohl erweitert als auch schärft.