Lawfare

Im Jahr 2016 enthob der brasilianische Senat Dilma Roussef in einem „politischen Prozess“, der keine strafrechtliche Wirkung hatte, aus dem Präsidentenamt des Landes. Im Jahr 2018 verurteilte Brasiliens Justiz Lula Da Silva wegen Bestechlichkeit und Korruption und ebnete damit den Weg für Bolsonaros Wahlsieg, auch wenn die Vorwürfe später aufgehoben wurden, weil ihnen jede faktische Grundlage fehlte, wie El Diario schrieb.

Ebenfalls 2018 erließ ein Gericht in Ecuador einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa, der ihn vom Stimmrecht ausschloss, obwohl Interpol sich geweigert hatte, solche Befehle auszuführen, weil sie auf betrügerischen Anschuldigungen mit klarer politischer Absicht beruhten.

Vor einigen Tagen reagierte die bolivianische Justiz auf den Generalstreik, der aufgerufen worden war, um die Putschjunta des Landes zur raschen Abhaltung freier Wahlen aufzufordern, und ordnete die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Evo Morales an. Die Anschuldigungen beziehen sich auf Terrorismus und Völkermord, und obwohl sie wahrscheinlich ins Leere laufen werden, werden sie dazu dienen, alle oben genannten Tatbestände zu disqualifizieren und jene Gegner von der politischen Bühne zu verdrängen, die eine Chance haben, den dominanten politischen Oligarchien Wahlsiege streitig zu machen.

Man könnte die Liste noch beliebig lange fortsetzen, Das sind nur einige Fälle, die Enrique Santiago jüngst in einem Artikel beschrieben hat. Früher beseitigte man eine unliebsame Regierung durch ein Militärputsch, heute setzt man das Instrument lawfare ein.

Was ist lawfare ?

Lawfare, ein Kunstwort aus law und warfare, wird In der Granma wie folgt beschrieben:

Eine vom Lateinamerikanischen Strategischen Zentrum für Geopolitik (CELAG) veröffentlichte Studie definiert diese Taktik als den missbräuchlichen Einsatz von Rechtsinstrumenten zum Zwecke der politischen Verfolgung, der Zerstörung des öffentlichen Images und der Delegitimierung eines politischen Gegners.

Zu diesem Zweck werden anscheinend rechtliche Schritte mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse kombiniert, um Druck auf den Angeklagten und sein Umfeld (einschließlich enger Familienmitglieder) auszuüben, so dass er anfälliger für Anschuldigungen ohne Beweise ist. „Das Ziel: Er soll die Unterstützung der Bevölkerung verlieren, damit er nicht in der Lage ist zu reagieren“, heißt es in der oben genannten Analyse.

Die Studie stellt fest, dass der Begriff Lawfare „eine unkonventionelle Methode der Kriegsführung beschreibt, bei der das Recht als Mittel zur Erreichung eines militärischen Ziels verwendet wird“. Sie wird in Unrestricted Warfare, einem Buch über Militärstrategien von 1999, dargelegt, obwohl das Konzept seit 2001 in anderen Bereichen als den US-Streitkräften umgesetzt wird.

Das Konzept macht sich zwei Dinge zu Nutze. Zum einen wird der zunehmende gesellschaftliche Konsens gegen Korruption genutzt, um eine solche dem politischen Gegner anzulasten. Zum anderen ist gerade der Justizapparat in einem System der Gewaltenteilung schwer zu kontrollieren, weil er formal unabhängig ist. Man kann in vielen Ländern, wie aktuell in den USA oder in Polen, beobachten, dass konservative Regierungen die obersten Gerichte und die Rechtsprechung einseitig zu ihren Gunsten besetzen. Diese einseitige Ausrichtung bleibt auch dann noch bestehen, wenn demokratische Wahlen zu einem Regierungswechsel geführt haben. Dann mischen sich konservative Richter*innen in das politische Leben ein und ignorieren die Neutralität, die von der Justiz in einem Rechtsstaat verlangt wird, eine Neutralität, die sie immer wieder selbst nutzen, um zu behaupten, dass ihre Entscheidungen nicht kritisiert werden können. Das kann man ganz gut am Beispiel der aktuellen Situation in Spanien betrachten.

Das Beispiel Spanien

In Spanien weigert sich die konservative Partido Popular (PP) seit Ende 2018, die anstehende Neubesetzung des CPGJ mitzutragen. Der CPGJ Ist unter anderem mitverantwortlich für die Aufsicht der Gerichte und die Neubesetzung der obersten Gerichtshöfe. Durch diese Weigerung zementiert die PP ihr Übergewicht in den wichtigen Justizorganen, die zum Teil noch in der Tradition des Franquismus stehen.
Dieses Übergewicht nutzt die konservative Seite konsequent aus, um die Regierung und innerhalb dieser vor allen Dingen Unidas Podemos im Sinne eines lawfare gegen die Regierung mit juristischen Klagen zu überziehen. Die meisten davon enden -anders als oben in Lateinamerika beschrieben- gegenwärtig noch im Vorfeld, weil die Vorwürfe absurd sind und ohne Beweise vorgetragen werden.

Ein anderes Beispiel ist das Verhalten der Justizorgane in der Auseinandersetzung mit den katalanischen Separatisten, in der Urteile gefällt wurden, die über alle Verhältnismäßigkeit hinausgingen.

Aber eine juristische Verurteilung ist ja gar nicht immer nötig. Lawfare wird durch die unrechtmäßige Anwendung des Gesetzes mit der Absicht geführt, dem Gegner zu schaden und so den Sieg auf einem Schlachtfeld der öffentlichen Ordnung zu erringen, den Gegner politisch und organisatorisch zu lähmen oder ihn gerichtlich ruhig zu stellen, so dass er keine Möglichkeit hat, zu streiten oder institutionelle Macht auszuüben, oder auch zu verhindern, dass er für ein öffentliches Amt kandidiert. Ziel kann schon sein, die öffentliche Ordnung und die Wahrnehmung von Sicherheit zu destabilisieren und so ein günstiges Klima für die nächsten Wahlen zu erzeugen.

Es ist nicht mehr notwendig, eine Intervention mit Gewalt durchzuführen, wie sie ein Abgeordneter der Vox im Januar forderte, um die linke Koalitionsregierung in Spanien zu verhindern. Staatsstreiche sind für die Putschisten am Ende kontraproduktiv, umso mehr in einer von sozialen Netzwerken überfluteten Welt. Lawfare ist da ein geeigneteres Mittel. Die gewaltsame Errichtung autoritärer Regime ist keine vorrangige Option, wenn es möglich ist, die Kontrolle durch demokratischere Erscheinungsformen aufrechtzuerhalten.