Obwohl praktisch alle Umfragen nach der schweren Wahlniederlage der Linken bei den Kommunalwahlen einen Sieg des rechten Blockes voraussagten, ist die Kongresswahl in Spanien mit einem Patt ausgegangen. Die rechte PP konnte zwar zulegen, aber es gelang ihr nicht, das formulierte Ziel einer absoluten Mehrheit zu erreichen. Eine Koalitionsregierung mit der rechtsextremen Vox ist nach Lage der Dinge ebenfalls nicht möglich. Aber auch die bisherige progressive Regierung von PSOE und Unidas Podemos, die diesmal in einem Zusammenschluss von 15 Parteien unter dem Namen SUMAR antrat, wird es schwierig haben, ihre Koalitionsregierung fortzusetzen.
Die Ergebnisse in Zahlen
Die PP hat um 47 Sitze zugelegt und kommt nun auf 136 Sitze. Dies erscheint zunächst außerordentlich viel, man muss jedoch bedenken, dass die rechtsextreme Vox gleichzeitig 19 Sitze verloren hat und nun auf 33 kommt und dass die Ciudadanos, die bisher zehn Sitze hatten und dem rechten Lager zuzurechnen waren, völlig aus dem Parlament verschwunden sind. Saldiert beträgt der Zuwachs des rechten Lagers mithin 18 Sitze.
Insgesamt reichen die 169 Sitze von PP und Vox nicht aus, um eine Regierung zu bilden für die 176 Sitze notwendig wären. Lediglich zwei kleine regionale Parteien wären bereit, eine solche Regierung mitzutragen, so dass dieses Lager auf 171 Sitze kommt.
Die PSOE hat gegenüber der letzten Wahl 2 Sitze gewonnen und kommt nun auf 122 Sitze. SUMAR, die in dieser Konstellation zum ersten Mal antraten, vereinigen 31 Sitze auf sich. Nimmt man als Vergleichsmaßstab die Sitze der in SUMAR vereinigten Parteien von 2019, so hat dieses Bündnis 7 Sitze verloren. Rechnet man diesen 153 Sitzen die Sitze alle weiteren Parteien, die die Regierungskoalition bisher unterstützt haben, hinzu, so kommt dieser Block auf 172 Sitze.
Auch das reicht nicht für die Wahl einer Regierung im ersten Wahlgang, zu der die absolute Mehrheit von 176 Sitzen benötigt wird. Wohl aber käme eine Regierung im zweiten Wahlgang zustande, wenn sich die Junts, die sieben Sitze erlangt haben, bei diesem Wahlgang enthalten würden.
Die Junts, das sprichwörtliche Zünglein an der Waage
Die Junts sind die Nachfolge- Nachfolge- Nachfolgepartei der CiU, die über Jahrzehnte als rechtsliberale Kraft Katalonien regiert haben und sich im Zuge der Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit mehrmals gespalten und neugegründet haben. Gegenwärtig werden sie von Carles Puigdemont aus dem belgischen Exil heraus gesteuert.
Von dem Wahlverhalten der sieben Abgeordneten der Junts wird es abhängen, ob es der PSOE gelingt, eine Koalitionsregierung zu formieren, oder ob es eine Wiederholung der Wahl geben wird,
Dabei ist das Verhalten der Junts momentan nicht vorauszusagen. Zwar gibt es dort Stimmen, die nach dem Motto „je schlimmer desto besser“ die Ansicht vertreten, dass eine rechte Regierung in Spanien für die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien die beste Option wäre, jedoch deswegen offen die PP zu unterstützen, käme wohl einem politischen Selbstmord gleich. Aber auch eine Unterstützung der PSOE bei der Regierungsbildung ist schwierig.
Die zentralen Forderungen der Junts werden sich um zwei Dinge drehen. Zum einen ist da die Zukunft von Puigdemont selbst, der gegenwärtig noch im Exil in Brüssel ist, dem aber nun eine Auslieferung droht und ein anschließendes Strafverfahren in Spanien. Zum anderen geht es um eine mögliche Zusicherung der PSOE hinsichtlich einer Abstimmung über die katalanische Unabhängigkeit.
Die Verhandlungen werden in einem extrem verminten Gebiet stattfinden. In Katalonien selbst ist der Unabhängigkeitsblock zerbrochen und die Junts haben enorm viel Stimmen und deutlich Einfluss in der Bevölkerung verloren. Die PSC (die katalanische Abteilung der PSOE), hat allein mehr Stimmen erhalten als alle Unabhängigkeitsparteien zusammen. Und auch SUMAR hat die katalanischen Unabhängigkeitsparteien überflügelt und liegt in Katalonien auf dem zweiten Platz nach Stimmen.
Im Rest Spaniens wird die Rechte die Verhandlungen mit allem, was ihr zur Verfügung steht, zu torpedieren versuchen. Dabei wird auch der Justizapparat, der nach wie vor unter franquistischem Einfluss steht, eine große Rolle spielen, wenn es um mögliche Zugeständnisse bezüglich der Strafverfolgung von Puigdemont geht. Und auch die spanische Presse, die in der Mehrheit rechts steht, wird gegen eine Einigung von PSOE und Junts trommeln.
In dieser Atmosphäre scheint alles möglich bis dahin, dass Junts angesichts einer möglichen neuen Amtseinführung von Pedro Sánchez auseinander fallen könnte. Viel wird davon abhängen, ob sich die Erben der alten CiU, die für Institutionalität und Pragmatismus eintreten, durchsetzen, oder die bedingungslosen Anhänger Puigdemonts, die in ihren Positionen radikaler sind. Dies alles ein Jahr vor den nächsten katalanischen Regionalwahlen und mitten im Kampf um die Hegemonie in der Unabhängigkeitsbewegung mit der ERC.
Überhaupt Katalonien
Sowohl bei ERC als auch bei Junts herrscht die Einsicht vor, dass die ständigen Streitigkeiten zwischen den beiden ehemaligen Partnern in der katalanischen Regierung auch in diesen Wahlen ihren Tribut gefordert haben. Die Forderung einer einseitigen Unabhängigkeit findet bei ihrer Basis keinen Anklang mehr. Die Demobilisierung der Unabhängigkeitsbefürworter*innen findet ihren Ausdruck darin, dass beinahe eine Million ihrer bisherigen Wählerinnen und Wähler sich diesmal dafür entschieden, sich der Stimme zu enthalten oder direkt für die PSC zu stimmen, um die extreme Rechte zu stoppen.
Es kann gut sein, dass beide Parteien zunächst eine minimale Einigung unter sich zu erzielen versuchen, um anschließend gemeinsam mit der PSOE zu verhandeln. Eine wichtige Rolle wird dabei auch den Comunes zukommen, die einen Teil von SUMAR bilden. Sie könnten als Vermittlerin zwischen den beiden Lagern fungieren.
Der progressive Block
Die restlichen Stimmen, die PSOE und SUMAR zusammenbringen müssen, um wieder eine Regierung zu bilden, stammen von den Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland und Galicien. Auch hierbei wird es Verhandlungen und Zugeständnisse geben, aber ein Scheitern wegen dieser Stimmen ist praktisch undenkbar.Die EH Bildu hat bereits kurz nach der Wahl erklärt, dass sie für einen progressive Regierungskoalition stimmen wird. Und die zweite baskische Partei, die nationalistische PNV, eher rechts angesiedelt, hat erklärt, dass sie alles tun will, um eine Regierung unter Einschluss der rechtsextremen Vox zu verhindern.
Der rechte Block
Der rechte Block, hat sein Wahlziel, den Sanchismus zu beerdigen, verfehlt und und steht zunächst mal unter Schock, der aber nicht lange anhalten wird. Kurzfristige Strategie wird wohl sein, eine Wiederholung der Wahl zu erzwingen. Man kann für die nächsten Wochen erwarten, dass die rechte Presse eine Übereinkunft zwischen den Regionalparteien und der PSOE als Untergang Spaniens verteufeln wird. Gelingt es nicht, eine Neuwahl zu erreichen, kann man davon ausgehen, dass die PP weiter nach rechts rücken wird. Ob der bisherige Vorsitzende Fejóo sich halten kann, ist dann noch die Frage. Aber was danach kommt, kann sowieso nur schlimmer sein. Die Vox wird aufgrund ihrer geringeren Stimmenzahl und den verlorenen Sitzen, wohl künftig eine geringere Rolle als bisher spielen.
Eine süsse Niederlage
Das Lager links der PSOE hat Wahl für Wahl an Stimmen verloren, und ist von einst 5 Millionen jetzt bei etwa 3 Millionen angelangt. Trotzdem kann sie diese Wahlen für sich als Sieg verbuchen, weil es gelungen ist, einen rechten Durchmarsch zu verhindern. Dies ist vor allem den autonomen Regionen, Katalonien und Baskenland zu verdanken, in denen die Linke auch über eine stabile soziale Basis verfügt, während in vielen anderen Teilen des Landes es nach wie vor nicht gelungen ist, organisatorische Strukturen zu schaffen. Im Vorfeld des Wahlkampfes gab es die für Linke schon typischen Streitereien, dennoch ist es Yolanda Diaz, der Arbeitsministerin, gelungen, mit Hilfe von SUMAR, die Linke zu einen und damit die Voraussetzungen für die Verhinderung einer rechten Regierung zu schaffen. Noch ist unklarer, ob sich dieses Wahlbündnis zu einer Partei weiter entwickeln wird, und wie die bisherigen linken Parteien sich zu diesem Projekt verhalten werden.
Viele Jahre lang war Spanien eine Anomalie unter den europäischen Ländern, weil es keine erfolgreiche rechtsextreme Partei hatte. Das hat sich inzwischen geändert, aber dieser Wahlkampf hat auch gezeigt, dass es möglich ist, die reaktionäre Welle in Europa aufzuhalten.
Sollte es eine progressive Regierung geben, dann wird das eine harte Legislaturperiode werden. Dann wird jede einzelne Entscheidung im Parlament hart umkämpft sein, weil auf jedes Sonderinteresse jeder einzelnen Partei Rücksicht genommen werden muss. Ob und wie eine progressive Regierung sich unter diesen Umständen halten und welche Fortschritte sie erzielen kann, das wird nicht nur für Spanien interessant sein, sondern für jede andere linke Bewegung in Europa.