Fast vier Monate nach den Wahlen, die mit einem überraschenden Ergebnis ausgegangen waren, wurde heute Pedro Sánchez mit 179 Stimmen zum Regierungspräsidenten wiedergewählt. Neben seiner eigenen Partei, der PSOE wurde er von Sumar, dem zukünftigen Koalitionspartner, und von praktisch allen Regionalparteien unterstützt. Unter diesen befinden sich auch Parteien, die eher dem konservativen Spektrum zuzuordnen sind, wie die Junts -Speerspitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung- oder die baskische PNV. Beide Parteien motivierte die Sorge vor einer möglichen Regierungsbeteiligung der rechtsextremen Vox im Falle einer möglichen Regierungsbildung durch die Partido Popular ((PP).
Eine progressive Regierung
Das Bündel der Maßnahmen, die Pedro Sanchez und Yolanda Diaz vereinbarten und während der Debatte im Kongress verkündeten, ist durchaus beeindruckend und im europäischen Maßstab gegenwärtig wohl einmalig. Im Zentrum stehen Vorhaben wie eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 37,5 Stunden, eine laufende Erhöhung des Mindestlohns, weitere Vorhaben sind die Umsetzung eines Plans gegen Jugendarbeitslosigkeit, die Aufstockung des öffentlichen Wohnungsbestands, und eine Steuerreform, durch die Banken und große Energieunternehmen stärker als bisher belastet werden sollen.
DieMöglichkeit für Jugendliche und Studierende, den Nahverkehr kostenlos nutzen zu können, soll erhalten bleiben. Ebenfalls weitergeführt wird die erniedrigte Mehrwertsteuer auf verschiedene Produkte des täglichen Bedarfs.
Das Engagement für einen ökologischen Transformation und eine grüne Wirtschaft ist eine weitere bemerkenswerte Verpflichtung des Programms, mit der Überarbeitung der Ziele des Gesetzes zum Klimawandel, „um dessen Ambitionen zu erhöhen“, so dass Spanien seine Emissionen bis 2030 um 55% reduziert, einen Anteil von 48% erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch erreicht und im Jahr 2050 Nettoemissionen von Null aufweist.
Es bleibt abzuwarten, was davon in der Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden kann, da für viele der Entscheidungen auch die Stimmen der konservativen Regionalparteien nötig sein werden und die Rechte alles unternehmen wird, diesen Kurs zu bekämpfen.
Opposition zweifelt Legitimität der Regierung an
Die letzten Wochen und Tage vor der heutigen Abstimmung waren von einer extrem aggressiven Kampagne gegen Pedro Sánchez und die PSOE gekennzeichnet. PP und Vox, die gesamte rechte Presse und Teile des Justiz- und des Polizeiapparates machten Stimmung gegen eine mögliche progressive Regierung. Absurde Klagen wurden eingereicht, tagelang wurde das PSOE- Parteigebäude in Madrid belagert, katalanische Flaggen verbrannt und ingesamt das Ende Spaniens beschworen, falls Sánchez am Ende doch wiedergewählt werden sollte.
Das setzte sich auch heute fort. Die Sprecherin der Vox verkündete unmittelbar nach der Wahl von Sanchez, dass die Regierung als illegal betrachtet wird. Isabel Ayuso, die Präsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid und Rechtsaußen der PP spricht von einer Diktatur, die heraufziehe.
Im Mittelpunkt wieder einmal – Katalonien
Anlass für dies alles ist eine Amnestie, die die Regierungsparteien mit der Junts ausgehandelt haben. Sie sieht vor, dass alle Vergehen im Zusammenhang mit dem „proces“, -der Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit Catalunyas- zwischen 2013 und 2023, straffrei gestellt werden. Das betrifft viele der Strafverfahren gegen Unabhängigkeitsbefürworter, begünstigt aber auch jene Polizeikräfte, die wegen unverhältnismäßiger Gewalt gegen Unabhängigkeitsbefürworter vor Strafverfahren standen.
Das Amnestiegesetz ist durchaus umstritten in der spanischen Gesellschaft. Viele argumentieren, dass es die Verfassung verletzen würde. Tatsächlich aber schließt die Verfassung eine Amnestie nicht ausdrücklich aus und ist ja selbst das Ergebnis einer umfassenden Amnestie, die beim Übergang zur Demokratie 1978 zwischen den Franquisten und und ihren ihren Gegner*innen vereinbart wurde.
Bis vor wenigen Monaten widersetzte sich auch die PSOE und Sanchez einer Amnestie, und der Gesinnungswechsel wird von vielen als bloße Wille zu Machterhalt interpretiert. Im Ergebnis ist das Amnestiegesetz aber das Resultat von Verhandlungen und politischen Druck und vor allen Dingen ein großer Schritt, um die katalanische Frage aus dem Gerichtssaal heraus in die politische Arena zurück zu führen.
Die Unabhängigkeitsbefürworter erkennen mit dem Ergebnis dieser Verhandlung an, dass ihre Strategie, der einseitigen Durchsetzung der Unabhängigkeit gescheitert ist, und dass sie sich auf Verhandlungen mit dem spanischen Staat einlassen müssen.
Bis das Gesetz in Kraft treten wird, werden noch einige Monate vergehen, und man wird noch vieles erleben, wie die Rechte versuchen wird, dieses Gesetz letzten Endes noch abzuwürgen.
Der Zustand der Linken
Ein Regierungsprogramm, wie es jetzt vorgelegt wird, wäre ohne die Beteiligung und den Druck von Sumar nicht möglich gewesen. Dabei tut sich in Sumar selbst ein Spalt auf. Seit den Wahlen vom Mai, die einen herben Rückschlag brachten, Ist die Position von Podemos, bis dahin die hegemoniale Kraft der Linken, geschwächt. Seitdem, so mein Eindruck, bunkert sich die Parteiführung ein und wirft Sumar vor, Podemos in die Bedeutungslosigkeit treiben zu wollen.
Sumar selbst ist ein Projekt, das versucht das Spektrum der Linken über die bisherigen Protagonisten Podemos und Izquierda Unida hinaus zu verbreitern. Ob Podemos sich dort einreihen will, erscheint zunehmend fragwürdig. Ein nächster Kulminationspunkt wird wohl die Frage sein, welche der Parteien innerhalb von Sumar, die Minister*innen stellen wird. Bisher waren zwei der fünf Ministerinnen von Podemos. Noch stehen keinen Namen im Raum, aber man kann schon sicher sein, das Podemos Federn lassen wird, und dass sie dies nicht ohne weiteres hinnehmen werden.
Spanien – ein Vorbild in Europa
Im September erschien in Makroskop ein Artikel mit der Überschrift, Warum Spanien ein Vorbild für Europa ist. Das bezog sich vor allen Dingen auf die Wirtschaftspolitik der bisherigen progressiven Regierung, die eine stärkere Umverteilung und sozialen Ausgleich in den Mittelpunkt stellte. Geringe Inflation, hohe Beschäftigung und Verbesserung der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung waren die Folge
Diese Vorbildfunktion erfüllte bisher auch die spanische Linke mit ihrem Kurs der Einheit. Hoffen wir, dass es so bleibt.