Das Imperium der Miliardäre

milliardaereHans-Jürgen Krysmanski geht in 0,1% – Das Imperium der Milliardäre, der Frage nach, wer eigentlich Entscheidungen in unserer heutigen Welt trifft und wie diese legitimiert sind. Er untersucht dabei, wie viele Menschen in Richistan leben, jenem kleinen Eiland, das ein frei verfügbares Vermögen von mehr als 500 Mio Dollar als Eintrittskarte voraussetzt.

In harten Zahlen liegt die Grenze zwischen reich und superreich bei rund 500 Millionen Dollar frei verfügbarem Vermögen (also abzüglich der selbstgenutzten Immobilien, der zum Lebensstil gehörenden langlebigen Güter wie Autos, Yachten und so weiter). Das bedeutet, dass im Kernland von Richistan weltweit rund 10 000 bis 20 000 Superreiche leben mit einem Vermögen von jeweils über 500 Millionen Dollar. Unter ihnen sind – die Schätzungen gehen weit auseinander – rund 3 000 Milliardäre. Wohlgemerkt: weltweit und unter Einbeziehung der dunklen Ecken, sozusagen der Rotlichtbezirke von Richistan. Wichtig und interessant – man denke an unsere Ringburg – ist nun aber, dass diesen inneren Zirkel der Multimilliardäre (nach konservativer Schätzung) mindestens 100000 »ultra-high net-worth individuals« (UHNWIs) mit Vermögen zwischen dreißig und 500 Millionen Dollar und eine Million »high-net-worth individuals« (HNWIs) mit Vermögen zwischen fünf und dreißig Millionen Dollar umgeben. Hinzu kommen, wiederum sehr konservativ geschätzt, rund zehn Millionen HNWIs mit Vermögen zwischen einer Million und fünf Millionen Dollar. Diese letzteren Gruppen, die HNWIs, drängen selbstverständlich auch ins Land Richistan, ins Land der Superreichen. Doch die meisten werden an den Grenzen abgewiesen. Diejenigen, die eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, müssen dann oft gehobene Dienstleistungen für die Superreichen erbringen. Wir kennen sie als Spitzenkräfte des Investmentbanking, als Topmanager der Industrie, als Medienmogule und so weiter – und sogar einige Spitzenärzte, Unterhaltungsstars, Politiker schaffen es, durch die Mauer zu schlüpfen. (siehe Position 776 der Kindle-Ausgabe)

Dieser Geldelite ist in der Regel für die Öffentlichkeit überhaupt nicht sichtbar. In Erscheinung treten eher die Konzern- und Finanzeliten, die Politiker und andere, deren Funktion so beschreiben wird.

Der Geldelite am nächsten operieren sicherlich die Konzern- und Finanzeliten, die Spitzenmanager der verschiedenen Wirtschaftssektoren und so weiter. Diese Gruppen fungieren als Spezialisten der Kapitalverwertung beziehungsweise der Absicherung und Expansion von Akkumulationsmöglichkeiten. Manche von ihnen steigen selbst in die eigentliche Geldelite auf, werden also zu Milliardären – aber erstaunlicherweise gar nicht so viele, obwohl High Tech und High Finance die Mobilität drastisch erhöht haben. Von ihren Vermögensverhältnissen her gehören sie auf jeden Fall zu unseren 0,1 Prozent. Ihr Dienstklassenstatus drückt sich darin aus, dass sie, im Gegensatz zur Geldelite, entlassen werden oder »stürzen« können. Je nach Loyalität gegenüber ihren jeweiligen Herren (den großen Investoren und Anteilseignern) kooperieren oder konkurrieren sie untereinander. Sie haben nicht unbedingt ein einheitliches strategisches Bewusstsein (wie man es traditionellerweise etwa der »Kapitalistenklasse« zuschrieb). Was sie verbindet, ist die Maxime der kurzfristigen Gewinnsteigerung auf der Basis der neoliberalen Ideologie.

ringdermacht

Den nächsten Funktionsring bilden die politischen Eliten. Man kann sie als die Spezialisten der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums bezeichnen. Alle Parlamente, alle Regierungen haben – zumindest aus der Sicht des Geldelite – die Funktion, für die Verteilung des Reichtums von unten nach oben zu sorgen. Anders ausgedrückt: Die Geldmächtigen wirken durch Lobbyismus und Korruption in das gesamte Feld der politischen Eliten hinein, das dadurch hochgradig differenziert und konfliktualisiert wird. Auch viele Spitzenpolitiker und vor allem Expolitiker können sich noch zu dem 0,1 Prozent zählen. Aufstiege in die Geldelite aber sind äußerst selten. Dagegen begeben sich Angehörige der Geldelite immer öfter in die Regionen der Politik und beteiligen sich direkt an den Verteilungskämpfen. Die bei weitem größte Gruppe allerdings bevölkert den Außenring unserer Festung: die Funktions- und Wissenseliten aller Art, von Wissenschaftlern über Techno- und Bürokraten bis zu den Wohlfühleliten der Medien, der Kultur, des Sports. Sie alle sind für den Erhalt des Gesamtsystems unerlässlich. Zugleich sind hier die Übergänge zu den 99 Prozent fließend. In diesem Außenring setzt sich in allen seinen Bereichen ein Rankingsystem durch, das die Angehörigen dieser Gruppen nach ihrer Nützlichkeit für die ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen der Geldelite bemisst. So können auch aus diesen Kreisen einzelne in die Ränge des einen Prozents aufrücken, doch kaum aber höher (Ausnahmen wie die dot.com-Milliardäre bestätigen die Regel). (siehe Position 692 der Kindle-Ausgabe)

Das Buch beantwortet nicht umfassend die Frage, wer warum die Macht hält, aber das wäre auch zu viel verlangt. Auf jeden Fall ein interessantes Werk, das auch wegen der Fülle der weiterführenden Anmerkungen mehrmals gelesen werden sollte.