Mit den Wahlen in Spanien auf drei (wenn man die EU-Wahl hinzunimmt, auf vier) Ebenen hat sich ein politischer Zyklus geschlossen, der 2015 begann und, wenn es nicht doch noch zu einer Wiederholung der Wahl kommt, eine neue Etappe in der spanischen Politik einleitet. Betrachten wir zunächst die Ergebnisse.
Die Parlamentswahlen vom 28. April
Sie wurden notwendig, weil die Minderheitsregierung von Perdro Sánchez es nicht schaffte, einen Haushalt für 2019 zu verabschieden. Der Haushaltsentwurf war zwischen der PSOE und Unidas Podemos (UP) vereinbart und sah zahlreiche soziale Verbesserungen, wie Rentenerhöhungen, Senkung der Mehrwertsteuer auf Produkte des täglichen Bedarfs, Erhöhung des Spitzensteuersatzes und weitere, vor. Hauptursache für dieses Scheitern war die Weigerung, der katalanischen ERC, dem Haushalt zuzustimmen, oder wenigstens sich zu enthalten, weil -so die ERC- Sánchez in der Frage der katalanischen Unabhängigkeit kein Entgegenkommen zeige.
Aus dieser Wahl ging die PSOE als Sieger hervor, auch wenn sie weit von einer Regierungsmehrheit entfernt blieb. Insgesamt ein grosser Erfolg, gerade für Pedro Sánchez, der sich wieder einmal als Stehaufmännchen der spanischen Politik erwies. Er verbesserte sein historisch schlechtes Wahlergebnis von 2016 (26J) um etwa 2 Millionen Wählerstimmen.
Die UP erzielte zwar ein besseres Ergebnis, als ihr vorausgesagt wurde, aber insgesamt war das Ergebnis ernüchternd. Gegenüber den Wahlen vom Dezember 2015 (20D), wo man mit über 5 Millionen Stimmen nah an der PSOE war verlor man (je nachdem, wie man rechnet) zwischen 1,5 und 2 Millionen Wähler*innen.
Die Partido Popular (PP), die unter ihrem neuen Vorsitzenden Pablo Casado einen deutlichen Rechtsruck vollzogen hat, verlor etwa 2,9 Millionen Wähler*innen gegenüber 2015. Diese gab sie vor allem in zwei Richtungen ab.
Einmal an die Ciudadanos von Albert Rivera, die ihr Wahlziel, stärkste Rechtspartei zu werden, mit einem Stimmenzuwachs von etwa 600.000 Stimmen knapp verfehlten.
Und zu anderen an VOX, die extreme Rechte, die mit knapp 2,7 Millionen den Verlust der PP in etwa ausglich.
Insgesamt kann man also feststellen, dass die Anzahl der Wähler*innen pro Block in den letzten drei Wahlen etwa gleich geblieben sind. Was sich aber deutlich verändert hat, ist die Zusammensetzung und Aufteilung innerhalb der Blöcke. Dies führt aufgrund der Besonderheiten des spanischen Wahlsystems zu dem Ergebnis, dass der rechte Block keine Regierungsmehrheit zustande bekommt.
Das gelingt allerdings auch der PSOE und Podemos gemeinsam nicht, sodass eine linke Regierung auf Stimmen der nationalistischen Parteien Galiciens, des Baskenlands oder Kataloniens angewiesen sind.
Dafür gibt es grundsätzlich gute Aussichten, da in Katalonien die ERC, die jenseits der Unabhängigkeitsfrage dediziert linke Positionen vertritt deutlich zulegte und stärkste Kraft wurde. Sie könnte eine Koalition von PSOE und UP unterstützen oder zumindest tolerieren.
Die Regionalwahlen vom 26. Mai
Auch in den Regionalwahlen, die in 13 von 17 Autonomen Regionen (vergleichbar den deutschen Bundesländern) stattfanden zeigt sich ein ähnliches Bild. Die PSOE konnte ihre Positionen ausbauen und hat die Möglichkeit, künftig in 11 Autonomen Regionen regieren, das wären drei mehr als bisher. Allerdings benötigt sie in den meisten Regionen Bündnispartner und muss Koalitionen schliessen. Das Gleiche trifft auch auf die PP zu, die zur Regierungsbildung neben den Ciudadanos auch die VOX benötigt.
In beiden Blöcken wird die Verhandlung über Koalitionen nicht einfach werden, da es einerseits keine Tradition von Koalitionen in Spanien gibt und andererseits die Bildung von Koalitionen auf Länderebene auch unmittelbar Einfluss auf die Regierungsbildung auf nationaler Ebene haben kann. Überraschungen sind deswegen nicht auszuschliessen.
Die Kommunalwahlen vom 26. Mai
Die zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen im ganzen Land haben von den linken Bürgermeistern des Wandels (Alcaldes de Cambio), die 2015 für Überrraschung und Euphorie im Lager der UP sorgten wenig übriggelassen.
Madrid, Ferrol, A Coruna, Santiago de Compostela und Zaragoza gingen verloren, lediglich Valencia, Cadiz und Barcelona konnten gehalten werden.
Besonders schmerzhaft war die Niederlage in Madrid, wo eine zerstrittene und zersplitterte Linke antrat und prompt von einem Rechtsbündnis aus PP, Ciudadanos und Vox überflügelt wurde, obwohl die Partei der bisherigen Bürgermeisterin Manuela Carmena die meisten Stimmen erhielt.
In Barcelona hielt sich Ada Colau als Bürgermeisterin aufgrund einer Koalition mit den katalanischen Sozialdemokraten und der Zustimmung bei der Wahl einiger Abgeordneter, die bisher den Ciudadanos zugerechnet wurden und dafür prompt aus der Partei flogen.
Welchen Weg nimmt die PSOE?
Nachdem der PSOE 2016 schon das Totenglöckchen geläutet wurde, hat sie einen rasanten Wiederaufstieg hingelegt, wenn auch nicht ohne Einbrüche, wie zum Beispiel der Verlust ihrer Homebase Andalusien. Unter der Führung von Pedro Sánchez blinkt sie heftig links und beteuert, eine progressive Regierung mit Hilfe von Unidas Podemos zustande bringen zu wollen. Gleichzeitig ist ist aber mit den alten Problemen konfrontiert. Sie hat keinen wirklich konstruktiven Vorschlag für das katalanische Problem, der ökonomische Aufstieg steht auf schwachen Füssen. Hinzu kommt, dass der Druck, der von den großen Unternehmen und den mit ihnen verbundenen Presseorganen ausgeübt wird, immens ist. Diese wollen mit aller Macht verhindern, dass die UP an der Regierung beteiligt wird. Das von Ihnen favorisierte Modell wäre eine Zusammenarbeit zwischen der PSOE und den Ciudadanos, entweder in Form einer Koalition, oder der Tolerierung einer Minderheitsregierung. Für die zukünftige politische Entwicklung in Spanien wird entscheidend sein, ob die PSOE diesem Druck standhält
Unidas Podemos und die Confluencias
Man kann konstatieren, dass der grosse Anlauf, der 2015 genommen wurden, um das Zweiparteiensystem zwischen PP und PSOE zu beenden in dieser Hinsicht gelungen ist. Gescheitert jedoch ist der Versuch, die Hegemonie auf der Linken zu erringen und die PSOE an Stimmen zu überflügeln. Im Lauf der letzten vier Jahre hat sich Podemos von einer Bewegung, die die Grenzen von links und rechts überwinden wollte und den Widerspruch von Oben-Unten als entscheidend ansah, zu einer Partei mit eher traditionellen linken Positionen gewandelt. Diese Wandlung drückt sich in einer immer engeren Zusammenarbeit mit der Izquierda Unida (IU) aus. Viele, die diesen Weg für strategisch falsch halten, haben Podemos den Rücken gekehrt. Deutlich wird das in Madrid, wo sich die Partei vor der Wahl praktisch spaltete und Iñigo Errejón, einer der Gründer von Podemos, mit einer eigenen Liste antrat. Neben den hausgemachten Fehlern muss man auch analysieren, inwieweit sich die objektiven Bedingungen für eine linke Politik, die auf eine Regierungsbeteiligung zielt nicht geändert haben.
Alberto Garzón, der Chef der IU, und stärkster Befürworter der Einheit der Linken drückt das in einem Debattenbeitrag folgendermaßen aus. „Die wirtschaftlichen Bedingungen, die die Existenz einer Transformation ermöglichen, die so mächtig ist wie die, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, sind vielleicht in diesem Moment nicht vorhanden, was uns zwingt, den politischen Raum auf der Grundlage einer neuen und besseren Artikulation zwischen den verschiedenen Akteuren, die ihn bilden, neu zu gestalten. Wir wurden in verschiedenen politischen Kulturen ausgebildet, wir haben unterschiedliche Hintergründe und wir haben unterschiedliche organisatorische Ressourcen (z.B. haben wir in der IU eine breitere lokale Implantation, während Podemos eine breitere Wahlbasis hat), und wir müssen die notwendigen Synergien finden, um unsere Ziele zu erreichen„.
Die PP im Sinkflug
Die PP ist weiterhin von Korruptionsskandalen gebeutelt und verliert von Wahl zu Wahl am Boden. Der stramme Rechtsruck, den ihr ihr Vorsitzender Pablo Casado aufgelegt hat, drückt sich auch darin aus, dass sie keine Skrupel hat, mit der rechtsradikalen VOX zusammen zu arbeiten und gemeinsame Regierungen zu bilden. Man muss abwarten, ob es ihr unter diesen Bedingungen gelingt, sich aus diesem Loch heraus zu arbeiten.
Ciudadanos in der Krise
Bisher ging es bei den Ciudadanos eigentlich nur Berg auf, bis dahin, dass Albert Riviera, der bis dato Alleinherrscher, das Ziel ausrief, stärkste Partei auf der Rechten zu werden. Das ist aber eigentlich nicht die Aufgabe, die Ciudadanos vom spanischen Kapital gegenwärtig zugewiesen wird. Eigentlich soll sie eine Zusammenarbeit zwischen der PSOE und der UP verhindern, indem sie sich selbst als Bündnispartnerin für die PSOE anbietet. Dem entsprechend gibt es nun zum ersten Mal interne Kritik am Kurs von Alberto Rivera, bis hin zu Rück- und Austritten auf Seiten des Führungspersonals. Zudem ist sich die Partei nicht klar in ihrer Haltung zu VOX. Offiziell lehnt sie eine Zusammenarbeit ab, faktisch paktiert sie mit ihr. Ciudadanos Ist das Chamäleon unter den Parteien, je nach Bedarf wechselt sie die Farbe und die politischen Überzeugungen. Man darf davon ausgehen, dass sie das auch in Zukunft tun wird.
VOX als Reserve
VOX kann man als Reserve des Kapitals betrachten, die langsam aufgebaut wird, falls alle anderen Strategien schief gehen. Ihr Personal rekrutiert sie aus frustrierten PP Mitgliedern und Anhängern. Mehr noch als die AfD in Deutschland sorgt sie mit gezielten Provokation dafür, dass rechte Position wieder salonfähig werden.
Unter diesen Bedingungen vollzieht sich die Auseinandersetzung um die Bildung der nächsten spanischen Regierung. Diese kann noch lange dauern, bis in den September hinein, Aber auch schnell in ausgerufenen Neuwahlen enden.