Marshall Ganz arbeitete 16 Jahre in der kalifornischen Gewerkschaftsbewegung und ist heute Senior Lecturer in Leadership, Organizing, and Civil Society at the Kennedy School of Government at Harvard University. In seinem Buch Why David Sometimes Wins verarbeitet er die Geschichte der United Farm Workers und ihrer Gründer Cesar Chavez und Dolores Huerta..
Seit den 1900er Jahren heuerten die landwirtschaftlichen Großbetriebe billige Saisonarbeitskräfte aus Lateinamerika und den Philippinen an. Es kam immer wieder zu Streiks, die aber an der mangelnden Organisation der Arbeiter scheiterten. Als 1965 etwa 800 philippinische Traubenarbeiter unter der Ägide der AFL-CIO zu streiken begannen, schloss sich die UFW bald darauf mit 2.000 mexikanischen Arbeitern der Aktion an und verwandelte den Streik in einen Bürgerrechtskampf. Sie griffen Kampfformen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung auf, leisteten zivilen Ungehorsam, mobilisierten die Unterstützung von Kirchen und Studenten, boykottierten die Ladenketten, in denen der Wein ihrer Arbeitgeber verkauft wurde und verwandelten ihren Kampf in La Causa, eine Bewegung, die als David schließlich über den Goliath der Traubenindustrie triumphierte.
Marshall Ganz hat diese Erfahrungen verarbeitet und sie zu einer Theorie destilliert, die großes Interesse in sozialen Bewegungen gefunden hat. Was sind die Grundlagen eines möglichen Erfolges und was kann man aus den Kämpfen, Rückschlägen und Erfolgen der Bewegung lernen? Ganz hebt, grob gesagt, drei Dinge hervor.
Die Story oder das Narrativ
Alles beginnt mit der Story, denn sie erklärt das „Warum“ der Situation. Warum ist eine Veränderung oder eine neue Art, die Dinge zu tun, notwendig? Die gesamte Motivation zum Handeln kommt direkt aus dieser Geschichte und den darin vermittelten Werten, Die Ausarbeitung von Geschichten, die Gruppen von Menschen zum Handeln veranlassen können, ist ein zentrales Anliegen für alle, die Menschen zusammenbringen wollen, um eine Veränderung zu bewirken.
Strategie
Dann muss eine Strategie erarbeitet werde, wie man auf die Veränderungen hinarbeiten will. Marshall Ganz hat das Konzept von Strategie ausgedrückt: als »die Verwandlung dessen, was man hat, in das, was man braucht, um das zu kriegen, was man will«
Und Jane McAlevey bemerkt dazu in ihrem Buch Keine halben Sachen:
»Das Wort man ist dabei zentral – und zugleich sehr variabel. Wie kommen die Menschen zu einem Verständnis davon, was sie haben? Und welche Menschen verstehen dies überhaupt? Denn nur jene, die es verstehen, können sinnvoll planen, was »man braucht«: Die einzelnen Schritte eines Plans ausarbeiten, den Handlungspfad entwickeln und umsetzen, und dann das bekommen, was »man will«. Und da das, was »man will«, meistens im Verhältnis zu dem steht, was man glaubt erreichen zu können, wachsen oder schrumpfen die entsprechenden Forderungen in Abhängigkeit von der realistischen Erfolgserwartung. Wer ist »man« in »was man will«? Ein Verständnis von möglichen Resultaten – Sieg oder Niederlage, gering oder umfangreich – bedarf der kleinteiligen Auseinandersetzung mit jedem dieser Teilsätze von Ganz’ brillanter Definition von Strategie.«
Struktur
Jede Gruppe, Organisation oder Bewegung benötigt schliesslich eine Struktur, die die Umsetzung der Strategie ermöglicht. Diese Struktur hängt von der erarbeiteten Strategie ab und kann vielfältige Formen annehmen. Von einem losen Zusammenschluss von Menschen, die nur durch ihre Teilnahme an Ihrer Bewegung gebunden sind, bis zu einer formalen Organisationsstruktur, die nach Gesetzen und mit spezifischen rechtlichen Verantwortlichkeiten eingerichtet wird. Eine Struktur gibt den Teilnehmern einen Platz in der Ordnung der Dinge und klare Linien, entlang derer Strategien entwickelt werden können.
Jedes dieser Elemente interagiert mit den beiden anderen, und es ist wahrscheinlich, dass eine Organisation organische Veränderungen erfährt, während sie sich im Laufe der Zeit entwickelt. Ganz erläutert dies in folgendem Video:
Übertragbarkeit des Konzepts
Auch wenn das Konzept aus dem Umfeld der Gewerkschaftsbewegung stammt und deren Erfahrung mit der anderer sozialen Bewegungen kombiniert, ist es meines Erachtens nicht nur dafür anwendbar, sondern allgemeingültig. Es lohnt sich für alle, die Veränderungen gegen Widerstand anstreben, es zu studieren,
Material dafür gibt es genug, angefangen von der Website von Marshall Ganz selbst, über die Organizing Diskussion in den Deutschen Gewerkschaften – angestoßen durch das Buch Organizing von Detlef Wetzel – bis hin zu umfassendem Material auf YouTube.