Mit Independencia stellt Javier Cercas den Folgeband von Terra Alta vor. Diesmal spielt die Handlung in Barcelona, wohin Melchor Marín abgestellt wird, um an einem einen mysteriösen Kriminalfall zu arbeiten.
Melchor Marín, Sohn einer ermordeten Prostituierten, Ex-Sträfling, erinnert in seiner Anlage an Vázquez Montalbáns Pepe Carvalho oder Henning Mankells Kurt Wallander. Desillusioniert sucht er seine eigene Gerechtigkeit, weil er der des Apparats, dem er selbst angehört, nicht mehr traut.
Im Mittelpunkt seines neuen Falles steht die Erpressung der Bürgermeisterin von Barcelona wegen eines Sexvideos, für dessen Auflösung Melchor von Blai, seinem ehemaligen Chef und jetzigen Inspektor, zur Zusammenarbeit mit einem anderen Bekannten, Sergeant Vàzquez, aufgefordert wird. Es geht dabei nicht um Ada Colau, die aktuelle Bürgermeisterin Barcelonas, denn die Erpressung findet nach ihrer Amtszeit statt, und auch der „procés“, die Unabhängigkeitsbemühungen, sind in dem Roman bereits gescheitert. Dass die Handlung in der nahen Zukunft spielt, ist für den Roman wesentlich, denn es schafft die Illusion einer Zukunft, von der aus man die Gegenwart aus der Ferne betrachten und durch den imaginären Fall über das von der Unabhängigkeitsbewegung erschütterte Katalonien urteilen kann,
Nichts hat sich verändert. Die Vertreter der reichen und mächtigen Gesellschaft, die es gewohnt sind, ungestraft als die natürlichen Besitzer Kataloniens zu handeln, gnadenlos, verdorben bis zum Brechreiz, zynisch, korrupt, manipulieren des Lebens anderer Menschen aus ihren sozialen und wirtschaftlichen Höhen, wo sie ihre wahre Unabhängigkeit, die ihrer Klasse, bewahren. Das haben sie vor dem procés getan, während des procés und sie tun es auch jetzt.
Melchior löst den Fall, aber die Schuldigen werden nicht zu Rechenschaft gezogen, sie werden ausgelöscht. Ein paar Figuren verschwinden, aber das System bleibt das gleiche. Nichts hat sich verändert
Independencia ist eine Reflexion über die politische Situation in Katalonien gepackt in einen Kriminalroman, und das Urteil von Cercas fällt nicht gut aus.