Wie funktionieren Staatsanleihen?

Wie funktionieren Staatsanleihen?

Deutschland hat seit 2009 in seinem Grundgesetz eine Schuldenbremse verankert. Der Bund darf höchstens 0,35% des erwarteten Bruttoinlandsprodukts an Krediten aufnehmen, den Ländern ist eine Nettokreditaufnahme überhaupt verboten. Damit soll die Staatsverschuldung begrenzt und eine solide Haushaltsfinanzierung erreicht werden.

Diese Schuldenbremse wurde während der Corona Pandemie ausgesetzt, um deren Auswirkungen bekämpfen zu können. Der Krieg um die Ukraine bewirkte eine Verlängerung dieses Moratoriums. Insgesamt wurden in dieser Periode etwa 450 Milliarden mehr ausgegeben als eingenommen. 

Nun soll für 2023 die Schuldenbremse wieder in Kraft treten. Die geplanten Ausgaben von 476 Milliarden sollen mit Hilfe von etwa 45 Milliarden neuer Kredite finanziert werden. Damit würde die Schuldenbremse nach drei Jahren zum ersten Mal wieder eingehalten werden. Eine gute Nachricht? Finanzminister Lindner sagt, ja.

Im Alltagsverstand bleibt oft nur hängen, dass der Staat sich heute verschuldet und in Zukunft Geld zurückzahlen muss. Daraus entsteht die Vorstellung, dass die heutige Generation Schulden aufnimmt und die zukünftige Generation diese tragen muss. Es wird also etwas verzehrt, was in der Zukunft erarbeitet werden muss. 

Daran ist ziemlich alles falsch. Es bleibt schon mal allein die Tatsache unberücksichtigt, dass den Schuldnern immer Gläubiger gegenüberstehen. Wenn man Schulden mit in die Zukunft nimmt, nimmt man also auch immer die Guthaben mit in die Zukunft. Dies ist der deutlichste Trugschluss, aber nicht der einzige. 

Auch der Vergleich mit der schwäbischen Hausfrau, demzufolge der Staat erst etwas ansparen muss, um es dann verbrauchen zu können, klingt nur plausibel, wenn man nicht verstanden hat, wo das Geld herkommt, das der Staat am Ende ausgibt.

Staaten refinanzieren sich in der Regel über Staatsanleihen. Es ist weithin nicht bekannt, wie diese Finanzierung erfolgt. Im folgenden ein (etwas simplifiziertes) Beispiel, um die Funktionsweise von Staatsanleihen und die Auswirkungen darzustellen.

Das Bankensystem

Bevor wir zu den Staatsanleihen kommen, müssen wir uns zunächst einmal klarmachen, wie das Bankensystem in Deutschland aussieht. Als Banken bezeichnen wir im allgemeinen Sprachgebrauch die Institutionen, bei denen wir ein Girokonto haben, von dem Zahlungen ab- und auf das Zahlungen eingehen. Neben dem Zahlungsverkehr können wir uns auch bei der Bank Geld leihen oder überschüssiges Geld dort anlegen. Kurz gesagt, wir als Privatpersonen, aber auch Unternehmen wickeln unsere Geldgeschäfte über Banken ab. Deswegen heißen diese Banken auch Geschäftsbanken. Das können Privatbanken sein, Genossenschaftsbanken oder Sparkassen. Das macht für unsere Betrachtung keinen Unterschied. 

Neben diesen Geschäftsbanken existiert eine Bank, die eine besondere Funktion hat, die Zentralbank. Das ist eine staatliche Institution, bei der alle Geschäftsbanken Konten haben, über die sie ihren Zahlungsverkehr untereinander abwickeln. Vereinfacht kann man sagen, die Zentralbank ist die Bank der Banken. In der Regel existiert in jedem Staat eine solche Bank. In der europäischen Union ist das ein wenig komplizierter. Dort nimmt die Europäische Zentralbank (EZB) für alle Mitgliedstaaten diese Rolle ein. Die deutsche Zentralbank, die Bundesbank, ist eine Abteilung der EZB. Für unsere Erklärung können wir diesen Sonderfall aber vernachlässigen. Wir gehen davon aus, dass es für Deutschland eine Zentralbank gibt. 

Bei dieser Zentralbank hat das Finanzministerium (auch hier sehr vereinfacht gesagt) ein Konto, über das der Staat seine Zahlungen abwickelt. Wenn wir also eine Zahlung vom Staat erhalten, dann überweist das Finanzministerium vom Konto auf der Zentralbank den Betrag auf das Konto unserer Geschäftsbank. Diese schreibt den Betrag dann uns auf unserem Girokonto gut.
Neben der Organisation des Zahlungsverkehrs zwischen den Banken hat die Zentralbank noch andere Funktionen, die aber für uns hier auch eine untergeordnete Rolle spielen.

Wie bei unserem Girokonto auch kann es nun passieren, dass das Konto des Finanzministeriums ins Minus gerät. Um dieses Minus auszugleichen, gibt der Staat Staatsanleihen aus.

Die Funktionsweise von Staatsanleihen

Staatsanleihen sind Wertpapiere und werden im Kapitalismus auf Märkten gehandelt. Wir müssen dabei zwischen dem Primärmarkt unterscheiden, auf dem der ursprüngliche Verkauf stattfindet und dem Sekundärmarkt, auf dem die Wertpapiere weiter gehandelt werden.

Der Primärmarkt

Die Staatsanleihen die Deutschland ausgibt, werden von der Finanzagentur des Bundes im Auftrag des Finanzministeriums einer Bietergemeinschaft von ungefähr 30 großen Geschäftsbanken angeboten. Nur diese sind berechtigt, Staatsanleihen zu erwerben. Die Geschäftsbanken machen ein Angebot, zu welchem Zinssatz sie diese Staatsanleihen erwerben.

Nehmen wir an das Finanzministerium möchte eine Anleihe von 100 Millionen platzieren. Die Laufzeit soll zehn Jahre betragen. Die Geschäftsbanken kaufen diese für 2%. Das bedeutet, das Finanzministerium zahlt den Erwerberinnen zehn Jahre lang jährlich 2 Millionen, in der Summe also 20 Millionen und bekommt dafür sofort 100 Millionen

Die Bezahlung der Staatsanleihen erfolgt über das Zentralbankkonto der jeweiligen Geschäftsbank. Das bedeutet, dass die Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank belastet werden (dort gehen 100 Millionen ab) und eine Gegenbuchung auf dem Konto des Finanzministeriums erfolgt (dort gehen 100 Millionen zu). Damit verfügt das Finanzministeriums über 100 Millionen, die sie für die Staatsanleihen erzielt haben und können dieses Geld zu ihren Zwecken verwenden. Die Zinsen, die regelmäßig für die Staatsanleihen anfallen, werden ebenfalls über das Zentralbankkonto des Finanzministeriums an die jeweiligen Besitzerinnen der Anleihen bezahlt. 

Die 100 Millionen, die die Geschäftsbanken bezahlen, sind entweder Kontoguthaben bei der Zentralbank aus früheren Einnahmen der Geschäftsbanken, oder aber die Geschäftsbanken leihen sich Geld bei der Zentralbank und zahlen dafür wiederum Zinsen. Das bedeutet, dass Staatsanleihen immer mit Zentralbankgeld gekauft werden. Die Banken können nicht mit Giralgeld bezahlen, das sie ja selbst schöpfen könnten.

Der Sekundärmarkt

Die Geschäftsbanken könnten nun die Anleihen in ihren Büchern ruhen lassen und für zehn Jahre Zinsen kassieren. Dies passiert aber in der Regel nicht. Stattdessen verkaufen die Geschäftsbanken die Anleihen an andere Interessenten. Sie handeln auf dem sogenannten Sekundärmarkt mit diesen Staatsanleihen und verkaufen diese an Private und so genannte institutionelle Investoren, wie Investmentfonds, Versicherungen, Pensionsfonds und Pensionskassen. Auf diesem Sekundärmarkt tritt auch die Zentralbank als Nachfragerin auf. Sie kauft ebenfalls Staatsanleihen und bezahlt diese mit Zentralbankgeld.

Wer eine Staatsanleihe kauft, der kauft das Recht, für diese Staatsanleihe über den Zeitraum des Besitzes eine bestimmte Zinszahlung zu erhalten. Die letzte Besitzerin kauft zusätzlich das Recht, den Nominalbetrag der Staatsanleihe zurück erstattet zu bekommen.
Staatsanleihen wechseln während ihre Laufzeit vielfach ihre Besitzerin, sie werden verkauft und gekauft. Der Preis richtet sich dabei nach Nachfrage und Angebot, er schwankt also um den ursprünglichen Ausgabepreis.
Der Einfachheit halber teilen wir für unser Beispiel nun das Anleihenpaket von 100 Millionen auf zwei Tranchen von jeweils 50 Millionen auf.

Die erste Tranche wird institutionellen Investoren angeboten. Sie ist verbunden mit dem Recht über die Gesamtlaufzeit hinweg Zinszahlungen von 10 Millionen zu erhalten und am Ende den Nominalbetrag von 50 Millionen. Dies rechtfertigt einen Preis von bis zu 60 Millionen für die gesamte Tranche.
Welcher Preis tatsächlich gezahlt wird, hängt von Angebot und Nachfrage ab. In der Realität gibt es ja nicht nur die eine Tranche, von der wir jetzt ausgehen, sondern es gibt einen gesamten Anleihenmarkt, auf dem Anleihen mit verschiedene Laufzeit, verschiedenen Zinssatz und unterschiedlichem Risiko (der Rückzahlung) angeboten werden. Die Nachfrage auf diesem Markt hängt davon ab, ob gerade Kapital auf anderen Märkten mit höheren Renditeerwartungen investiert werden kann, von der Menge des Kapitals, das gerade verfügbar ist und investiert werden muss und von weiteren Bedingungen.

Die zweite Tranche wird von der Zentralbank zurück gekauft. Auch sie zahlt den Geschäftsbanken einen Preis, der über dem Ausgabepreis liegt, so dass die Geschäftsbanken hier einen Gewinn machen. Die Zentralbank wiederum fordert nun für diese Staatsanleihen Zinsen vom Finanzministerium und macht damit ebenfalls einen Gewinn. Dieser Gewinn wird am Ende des Jahres an das Finanzministerium überwiesen. Das bedeutet, dass das Finanzministerium für diese Tranche (abgesehen von Gebühren für die Verwaltung bei der Zentralbank) nichts zahlt, da sie ja die gezahlten Zinsen als Gewinn von der Zentralbank zurück erhält.

Unsere erste Tranche wechselt auf dem Sekundärmarkt vielfach die Besitzerinnen und wird zu unterschiedlichen Preisen weiter gehandelt. Das spielt aber für unsere Betrachtung keine Rolle, da hier nur Geld zwischen privaten Besitzerinnen ausgetauscht wird.

Die zweite Tranche bleibt über die Laufzeit in den Hand der Zentralbank.

Die Rückzahlung der Anleihen

Bis zum Ende der Laufzeit wurden nun vom Finanzministerium über ihr Zentralbankkonto 10 Millionen an Zinsen an Private bezahlt. 10 weitere Millionen an Zinsen bekam die Zentralbank, die diese aber als Gewinn an das Finanzministerium abgeführt hat. Nun stehen den Besitzerinnen der Anlage die 100 Millionen als Rückzahlung zu. 

Wie sieht die Situation nun auf den einzelnen Konten aus?

Das Finanzministerium hat 100 Millionen eingenommen, 20 Millionen an Zinsen bezahlt und von diesen 20 Millionen Zinsen wieder 10 Millionen zurückbekommen. Wenn es die 100 Million nun zurück bezahlt, dann steht das Konto mit 10 Millionen im Minus.

Die Geschäftsbanken haben von ihrem Konto die 100 Millionen abgebucht, aber durch die Verkäufer anschließend wieder diese 100 Millionen eingenommen. Darüber hinaus haben sie noch einen Gewinn gemacht, den wir aber hier vernachlässigen. Wir können sagen, dieses Konto ist ausgeglichen.

Die Käufer auf dem Sekundärmarkt haben zunächst 50 Millionen für die Staatsanleihen bezahlt, anschließend 10 Millionen Zinsen kassiert (wobei ein Teil dieser Zinsen an die Geschäftsbanken als Gewinn ging) und anschließend die 50 Millionen vom Finanzministerium wieder zurückbekommen. Sie haben ein plus von 10 Millionen gemacht (abzüglich des Gewinns der Geschäftsbanken beim Verkauf).

Die Zentralbank hat zwischendurch für 50 Millionen Staatsanleihen zurückgekauft, dafür 10 Millionen Zinsen vom Finanzministerium kassiert und diese postwendend an das Finanzministerium zurück überwiesen. Am Schluss werden ihr vom Finanzministerium die 50 Millionen zurück erstattet. Ihr Konto ist ausgeglichen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass von diesen 100 Millionen Staatsanleihen, die zunächst als Schuld auftauchen, am Ende und der Laufzeit 10 Millionen an tatsächlichen Minus übrig bleiben. 

Das klingt zunächst verblüffend und wie ein Taschenspielertrick, weil so getan wird, als würden die 100 Millionen, die sich das Finanzministerium initial leiht, während dieser ganzen Zeit nicht angetastet. 

Aber tatsächlich fließen sie natürlich von dem Konto ab, werden verwendet, um Rechnungen zu zahlen, Investitionen zu tätigen, oder was auch immer. Gleichzeitig wird das Konto durch Steuerzahlungen und andere Einnahmen wieder aufgefüllt. 

Was man sich hier klar machen muss, ist, dass Staatsanleihen keine Kredite sind, wie sie eine Privatperson etwa zum Kauf eines Autos aufnimmt. Dort hat der Kredit ein bestimmten Zweck. Es wird diese Summe aufgenommen, die man zum Kauf des Autos braucht, das Auto bezahlt und anschließend wird der Kredit getilgt.

Staatsanleihen dagegen werden nicht für einen bestimmten Zweck aufgenommen, sondern um das Konto des Staates im Plus zu halten. Sie werden eigentlich nie getilgt. Kündigt die Bundesregierung zum Beispiel an, dass sie 10 Milliarden für die Sanierung von Kindergärten aufwenden will, dann bedeutet das nicht, dass sie 10 Milliarden Staatsanleihen ausgeben wird. Sie wird genauso viel Staatsanleihen ausgeben, damit ihr Konto ausgeglichen ist und sie die laufenden Ausgaben zahlen kann. Diese 10 Milliarden die irgendwann mal in der Summe ausgegeben werden, stammen aus den verschiedensten Quellen und werden zu verschiedenen Zeiten ausgegeben. Staatsanleihen sind in diesem Zusammenhang nur nötig, wenn das Konto des Finanzministeriums ins Minus rutscht. 

Die Ausgaben, die über die Zeit für die Sanierung von Kindergärten getätigt werden, fließen in die Wirtschaft, erzeugen dort Wachstum und damit Steuereinnahmen, die das Konto füllen Im Idealfall ist das Konto des Finanzministeriums dadurch zum Zeitpunkt der Rückzahlung im Plus. Wenn nicht, werden erneut Staatsanleihen ausgegeben. Was die nächste Generation erbt, sind nicht Schulden, sondern sanierte Kindergärten. 


Etwas ausführlicher kann man die Thematik in der Broschüre der Rosa Luxemburg Stiftung nachlesen.