Das Kapital sind wir

Das Kapital sind wir 1Timo Daum hat auf dem Blog Das Filter über längere Zeit hinweg interessante Beiträge zur Kritik der Digitalen Ökonomie verfasst. Sie bilden auch die Grundlage zu seinem höchst lesenswerten Buch Das Kapital sind WIR. Er geht darin der Frage nach, wie sich die Ökonomie und damit auch das Zusammenleben der Menschen verändert, in einer Welt, in  der Daten eine essentieller Rohstoff geworden sind und Information zu einem Produktionsfaktor. Ist das noch Kapitalismus? Oder geht das weit darüber hinaus? Gräbt der Kapitalismus gerade sein eigenes Grab?

Was man feststellen kann, und was Daum gut herausarbeitet, ist, dass sich der Kapitalismus in einer Phase befindet, in dem sich ein neues Akkumulationsmodell herausbildet. Über die Abschöpfung des Mehrwerts der Arbeitskraft im unmittelbaren Produktionsprozess hinaus, generiert er Profit durch die Abschöpfung und Verarbeitung von Daten, die ihm von den Konsumenten seiner Produkte zur Verfügung gestellt werden. Es entsteht ein Digitaler Kapitalismus, der mit Information, Algorithmen und User Generated Content sein Geld verdient.

Die Grundlage dieses Akkumulationsmodells ist die Tatsache, dass wir uns in einer Phase der Umwälzung befinden, die der Industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhundert vergleichbar ist. War das Neue damals die Übertragung der Muskelkraft auf die Maschine, so ist das Kennzeichen der heutigen Wissenschaftlich-Technischen Revolution (WTR) die Übertragung von geistigen Tätigkeiten auf Maschinen. Damit wächst auch die Bedeutung von Wissen (das Marx General Intellect nannte) als Produktivkraft. Immer weniger Arbeit wird benötigt, um etwas herzustellen. Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen.

Zum einen kann man folgern, dass der Kapitialismus sich gerade selbst zerstört, eine These, die zum Beispiel Paul Mason vertritt und die ich in meinem Post zu seinem Buch Postcapitalism näher ausgeführt habe. Daraus nähren sich viele Hoffnungen.

Zum anderen kann man konstatieren -und diesen Ansatz erläutert Daum in dem Kapitel –Kapitalsimus as a service-, dass Wissensprodukte -unabhängig von ihren materiellen Trägern- Reichtum repräsentieren und Wert besitzen und dass daraus neue Formen der Verwertung entstehen. Diese sind durch drei Dinge gekennzeichnet.

  1. Wissen wird schon immer gesellschaftlich erzeugt, aber im Kapitalismus privat angeeignet. Heute jedoch erfolgt eine monopolistische Aneignung und eine proprietäre Vermarktung. The winner takes it all. Das erste Facebook ist ein Erfolg, ein zweites hat keine Chance mehr auf dem Markt. Das dazugehörige Stichwort ist Monopolprofit.
  2. Innovation ist kein Ausnahmezustand mehr, durch den man zweitweise einen Konkurrenzvorteil (und einen Extraprofit) erzielt, sondern der Normalzustand also eine kontinuierliche Quelle von Profit.
  3. Es entstehen neue Formen von Ausbeutung, die Verwischung von Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit, die Ausbeutung des gesamten Spektrum menschlicher Lebensäusserungen auch ausserhalb des Arbeitsprozesses.

Der Kapitalismus geht also daran nicht zugrunde, sondern er passt sich dynamisch an, wir haben es mit einer neuen Phase des Kapitalismus zu tun.

Der Kapitalismus wälzt aber gegenwärtig nicht nur seine technischen Grundlagen um, sondern er schafft sich auch den Produzenten, den er benötigt. Er produziert die Subjekte in der gleichen Weise wie die Automobilindustrie neue Modelle vom Band laufen lässt. Dabei werden sie immer individueller, wenn auch auf gleichem Chassis und gewinnen den Eindruck einzigartig zu sein, damit auch nicht mehr fähig, sich kollektiv zu wehren. Mehr dazu kann man in dem Kapitel Die Geburt des Solo-Kapitalisten nachlesen.

Es gibt noch jede Menge Ansätze in dem Buch, über die es sich nachzudenken lohnt, so zum Beispiel was Daum über das Bedingungslose Grundeinkommen und der Digitale Kapitalismus schreibt, oder über Sharing is Caring?

Als ich 2010 von unserer Webseite, die mehr oder weniger ein Reisetagebuch war auf diesen Blog umstieg, war eines meiner Absichten, mich mit der Wissenschaftlich-Technischen Revolution und deren Auswirkungen auseinander zu setzen. Den Begriff  für die epochalen Veränderungen, die sich gegenwärtig vollziehen, entnahm ich einem kleinen Band von Harry Nick, Wissenschaftlich-technische Revolution – Wesen, historischer Platz,  Entwicklungsetappen, das 1981 erschien, als diese Entwicklung wirklich noch am Anfang war. Ich bekam es 1985 in die Finger und es und war eines der Bücher, die meine Sicht auf die Welt fundamental veränderten.

Seitdem habe ich einiges dazu gelesen und in diesem Blog unter einer gemeinsamen Kategorie  beschrieben.  Dabei habe ich immer wieder festgestellt, das die Marxsche Theorie äusserst nützlich ist, um die Welt zu begreifen. Diese Feststellung bewahrheitet sich durch dieses Buch.

Auch lesens- beziehungsweise sehenswert dazu:
Die Rezension in Zeit Online
Der Beitrag von 3Sat