Wird die digitale Transformation die kapitalistische Gesellschaft überwinden? Linke, wie Paul Mason vertreten diese These. Und auch César Rendueles setzt sich in Sociofobia mit dieser Frage auseinander. Aber er kommt zu einem anderen Schluss.
Mit dem Aufkommen der neuen Technologien und speziell des Internets brach ja stellenweise eine Euphorie aus, dass das Internet ein Heilmittel für alle politischen Probleme sei, dass es die Menschen in bisher noch nie gekanntem Ausmaß vernetze, einen Austausch unter Freien und Gleichen ermögliche, Unabhängigkeit fördere und demokratisiere. Man erinnere sich noch an die Geschichten um den Arabischen Frühling herum, bei denen durch soziale Medien eine Gegenöffentlichkeit aufgebaut worden sei, die dem Fortschritt zum Sieg verholfen habe.
Man stellte sich das Netz als etwas vor, das positive soziale Dynamiken hervorrufe, das Grenzen und Isolation verschwinden lasse, das Wissen demokratisiere, Diktaturen und schliesslich auch die kapitalistische Produktionsweise überwinde.
Von dieser Euphorie ist in Zeiten von Fake News und Hassbotschaften im Netz wenig übrig geblieben.
Sociofobia – geschrieben im Jahr 2013- stellte schon damals diese Sichtweise in Frage. Der Cyberfetischismus, so bezeichnet Rendueles diese Betrachtungsweise, hat eine verringerte, nicht eine erweiterte soziale Realität erzeugt. Es hat unsere Erwartungen an das, was wir uns von politischen Interventionen oder persönlichen Beziehungen versprechen, gesenkt. Man geht nicht mehr auf die Demo, sondern klickt die Online-Petition an, man hat Freunde in Facebook, nicht mehr im Verein. Es entsteht ein Zustand der Soziophobie, die Erosion sozialer Bindungen.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das ohne die Hilfe anderer nicht überleben kann. Die Stärke der Gattung Mensch liegt in der Kooperation. Der Neoliberalismus, als gegenwärtig vorherrschende Spielart des Kapitalismus, hat diese Erkenntnis in den Hintergrund gedrängt, Rendueles schreibt dazu:
Ich halte den Cyberutopismus letztlich für Selbstbetrug. Er hält uns davon ab, zu verstehen, dass Ungleichheit und Marktlogik die wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zu Solidarität und Brüderlichkeit sind. (…) Die ganze sozial-digitale Aufregung ist letztlich ein Wohlstandsprivileg und reines Ornament. Sie taugt nicht für das, was Gemeinwesen eigentlich leisten soll: nämlich sicherstellen, dass die einen für die anderen sorgen. Dasselbe gilt auch für den Egalitarismus 2.0, also das Gefühl, dass sich im Internet soziale Unterschiede verflüchtigen.
Sociofobia, von Raul Zelik auch ins Deutsche übersetzt, analysiert vor allem den negativen Einfluss des Netzes auf soziale Prozesse mit einem nüchternen Blick. Aber nicht die Technologie ist es für ihn, die zu diesen Ergebnissen führt. Er schreibt:
Der Kapitalismus lässt sich nicht parodieren. Nichts kann eine Welt überraschen, die Arbeit, den Gebrauch des Geldes oder die Nahrungsmittelproduktion in Form eines allgemeinen und obligatorischen sportlichen Wettbewerbs namens Markt organisiert.
Es ist unsere Aufgabe, diesen Zustand zu überwinden.