Change the system – not the climate, dieser Slogan, oder besser diese Erkenntnis beginnt sich auch in der ökologische Bewegung mehr und mehr zu verbreiten. Wie dieses System funktioniert, darüber haben Marxist*innen eine fundierte Meinung. Aber liefert diese Analyse auch den Schlüssel, um die ökologische Krise zu erklären? War Marx und sind Marxist*innen nicht zu fortschrittsgläubig und haben zum Verhältnis von Mensch und Natur vielleicht nichts zu sagen? Kohei Saito tritt an, in Karl Marx’s Ecosocialism: Capital, Nature, and the Unfinished Critique of Political Economy (deutsch Natur gegen Kapital) das Gegenteil zu beweisen.
Saito, stützt sich dabei vor allem auf Notizen, die Marx in seinen letzten Lebensjahren, während seiner ausgedehnten Studien in den Bereichen der Biologie, Chemie, Geologie und Mineralogie angefertigt hat. Anlass für Marx war wohl die Krise, die auf die Industrialisierung der Landwirtschaft durch den Kapitalismus zurückzuführen war. Dabei stellte er einen „Riss“ im Stoffwechsel zwischen Mensch und Umwelt fest. Diese bestand darin, dass die Böden in der Landwirtschaft ausgelaugt wurden und die zur Regeneration notwendigen Stoffe nicht mehr in die Böden zurückgeführt wurden. Diese Erkenntnis bezog Marx von Justus von Liebig, einem damals führenden Chemiker und Begründer der Agrochemie.
Aus dessen Studien schloss Marx, dass die Natur im Kapitalismus in der gleichen Weise ausgebeutet werde, wie die Lohnarbeiter*in und dieses Ausbeutungsverhältnis in der Tendenz zur Zerstörung der Natur führt.
Dies führte Marx bereits im Ersten Band des Kapitals aus. “Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter. (MEW 23,529)
Die Beweisführung von Marx
Im Kapital entwickelt Marx auch, wie der Mensch durch die Arbeit die Natur (und damit seine eigenen Existenzgrundlagen als Naturwesen, Teil der Natur) verändert.
Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. (MEW23,192)
Dieser Stoffwechselprozess zwischen Natur und Mensch hat unabhängig von der Form Bestand, in denen die Gesellschaften produzieren. Er ist Basis der Urgesellschaften und des Feudalismus ebenso wie er die Grundlage der heutigen kapitalistischen Produktionsweise bildet.
Im Kapitalismus nimmt dieser Stoffwechselprozess allerdings eine spezifische Form an: Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse“. Und weiter: „Wie die geschichtlich entwickelten gesellschaftlichen, so erscheinen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit als Produktivkräfte des Kapitals“. „Naturelemente, die in die Produktion als Agentien eingehen ohne zu kosten, welche Rolle sie immer in der Produktion spielen mögen, gehen nicht als Bestandteil des Kapitals in sie ein, sondern als Gratisnaturproduktivkräfte des Kapitals, d. h. als eine Gratisnaturproduktivkraft der Arbeit, die sich aber auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, wie alle Produktivkräfte, als Produktivkraft des Kapitals darstellt.
Mit anderen Worten: weil die Natur im Kapitalismus nichts kostet, muss man auf sie keine Rücksicht nehmen.
Grüner Kapitalismus?
Genau an dieser Frage setzen die Vertreter des Grünen Kapitalismus an. Wenn das Problem darin liegt, dass die Natur keinen Preis hat, dann verpasst man ihr doch einfach einen, die CO2 Steuer als Ausweg aus der ökologischen Krise. Die Ökologisierung der Ökonomie soll durch die Ökonomisierung der Ökologie erreicht werden. Das bedeutet aber, dass man gerade den Mechanismus anheizt, der in erster Linie (zumindest nach marxistischer Ansicht) zur ökologischen Krise geführt hat. Den oben erwähnten Riss im Stoffwechsel wird man nicht heilen, eine Ökonomie, die die Ressourcen die sie verbraucht, auch wieder ersetzt, wird man dadurch nicht erreichen.
Marx sagt dazu: Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“ (MEW 25, 48. Kapitel, 1894).
Mit anderen Worten: die Produktionsweise des Kapitalismus, die darauf beruht dass eigentlich Dinge nur produziert werden, um sie zu verkaufen und mit dem Erlös wieder neue Dinge zu produzieren, dass der Tauschwert eines Produkts im Mittelpunkt der Produktion steht, muss gebrochen werden. Stattdessen müssen Dinge produziert werden, die die Gesellschaft benötigt, der Gebrauchswert der Produkte muss Ziel der Produktion sein.
Dazu werden andere Produktionsweisen und eine andere Organisation der Gesellschaft nötig sein, über die auch Raúl Zelik in in seinem Buch Wir Untoten des Kapitals nachgedacht hat.
Bereits 2009 gab es dazu eine Veranstaltung der Ökologischen Plattform bei der Linken statt, bei der auch über das folgende Zitat von Marx referiert wurde: vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wird, wie das Privateigentum eines Menschen an einem anderen Menschen. Selbst die ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammen genommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ (MEW 25; S. 782).
Den Konsum reduzieren?
Eine weitere gern verbreitete Strategie wird ins Leere laufen. In einer Rezension des Buches Der ökologische Bruch. Der Krieg des Kapitals gegen den Planeten. wird sie auf der Website kritisch-lesen.de wie folgt beschrieben:
Ein von Umweltschützern „besonders aus wohlhabenden Ländern“ getragenes Projekt ökologischer Modernisierung ist der „ökonomische Malthusianismus“ (S. 358). Dessen VertreterInnen sehen in der wachsenden Zahl von KonsumentInnen die zentrale Gefahr für die Erde. Die „Verbraucherkultur“ ist „Anfang und Ende aller Umweltprobleme“ (S. 361). Die Lösungsstrategie besteht dementsprechend darin, den Massenkonsum zurückzufahren und die KonsumentInnen zu einem „grünen Einkaufsverhalten“ (S. 360) anzuhalten. Während also die Anhänger des „demografischen Malthusianismus“ (S. 358) das Wachstum der Bevölkerung kontrollieren wollten, um eine vermeintliche Kluft zwischen Bevölkerungswachstum und der Produktion von Lebensmitteln zu regulieren, verfolgen die ökonomischen MalthusianerInnen in der Umweltbewegung das Ziel, den ansteigenden Konsum der Individuen zu kontrollieren, um den ökologischen Zerstörungen Einhalt zu gebieten. Beiden Positionen ist gemein, dass sie auf einer „verkürzten Behandlung von Klassenangelegenheiten“ (S. 370) und dementsprechend auf einem falschen Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse beruhen, das Foster und seine Kollegen als „elitäres Umweltbewusstsein“ (S. 371) charakterisieren.
Zweierlei Konsum – zweierlei Konsumkritik
Der „ökonomische Malthusianismus“ gründet zudem laut Foster, Clark und York auf einem weit verbreiteten Missverständnis in der Ökologiebewegung: dem „Rätsel des Konsums“ (S. 364). Sie meinen damit eine Vermengung von zwei unterschiedlichen Konsumbegriffen. Während sowohl AktivistInnen als auch WissenschaftlerInnen der grünen Bewegungen den Konsum schlechthin für ökologische Probleme verantwortlich machen, ist es unter Rückgriff auf Marx möglich, zwischen individueller und produktiver Konsumtion zu differenzieren. Dies erlaubt auch eine wesentlich genauere Beantwortung der Fragen, wer die exorbitanten Mengen an Energie und anderen natürlichen Stoffen verbraucht, und wie man dieser Vernutzung der Umwelt am besten begegnet.
Die klassische grüne Konsumkritik konzentriert sich in der Regel auf „den“ Konsum. Damit stellen ihre VertreterInnen letztlich zum Beispiel die Produktion von Haushaltsmüll einerseits und radioaktivem Abfall durch Atomenergie auf eine Stufe. Beide sind Folgen „des“ Konsums. Entsprechend raten die traditionellen KonsumkritikerInnen dazu, Strom zu sparen, Müll zu trennen, Waren mit geringem Verpackungsanteil einzukaufen und so weiter. Dabei handelt es sich nicht nur um eine individualistische Strategie, um das Müllaufkommen zu reduzieren, sondern auch um eine, mit der die Produktion gänzlich ausgeklammert wird.
Eine zeitgemäße Konsumkritik, die nicht hinter die Erkenntnisse von Marx und Engels zurückfällt, basiert hingegen auf der Scheidung zwischen dem Konsum der Individuen und dem produktiven Konsum kapitalistischer Unternehmen. Am Modell der Müllproduktion in den USA zeigen Foster et al. überzeugend, dass die einzelnen KonsumentInnen lediglich 2,5 Prozent des Gesamtabfalls erzeugen. Die restlichen 97,5 Prozent setzen sich aus „(1) Industriemüll, (2) Bau- und Abrissmüll sowie (3) Sondermüll (Abfälle aus Bergbau, Treibstoffproduktion und Metallverarbeitung)“ (S. 363) zusammen. Fosters, Clarks und Yorks Kritik sollte auch nicht wieder falsch verstanden werden. Sie ist auch kein Plädoyer für einen kulturindustriell angeleiteten Hedonismus. Es nicht falsch, weniger Müll in den eigenen vier Wänden zu produzieren. Aber eine signifikante Veränderung der Umweltbelastung wird auch in diesem Punkt nur möglich sein, wenn die Produkte gesellschaftlich anders hergestellt werden. Eine politische Lösungsstrategie zur Verringerung der Umweltbelastung durch Müll muss sich dementsprechend gegen die Produktionsweise kapitalistischer Unternehmen und die ihnen zugrundeliegenden Produktionsverhältnisse richten.
Neue Bündnisse schmieden
Zu dieser Analyse passt auch ein Artikel von Thomas Steinfeld Flugscham für Kampfflieger, der 2019-08-22 In der Süddeutschen Zeitung (hinter Bezahlschranke) erschienen ist. Darin schreibt der Autor: Das amerikanische Militär, der größte einzelne Energieverbraucher der Welt, verbraucht 48 Millionen Liter Öl pro Tag, was etwas weniger als einem Siebtel des gesamten deutschen Ölverbrauchs entspricht oder ungefähr so viel ist, wie ganz Schweden in derselben Zeit vernutzt.“ Belege für diese Aussage lassen sich nach Auskunft des Autos leicht unter Google finden, wenn man den Ausdruck Energy usage of the United States military eingibt.
Dies zeigt die strategische Richtung an, in die auch nach Auffassung von Saito die Auseinandersetzung zu führen ist. Es müssen soziale Bewegungen, Friedens- und ökologische Bewegung zusammen geführt werden. Am Ende des Weges kann nur eine Gesellschaft stehen, in der der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“MEW 25, 48. Kapitel, 1894).
Es gäbe noch viel zu sagen über das Buch von Saito und die damit verbundenen Aspekte, historisch die Rolle von Engels, der ebenfalls bedeutende Beiträge zu diesem Thema geliefert hat, oder über die Produktionsweise im realen Sozialismus, die die Menschheit wahrscheinlich in Richtung Ökologie nicht entscheidend weitergebracht hat. Viel Stoff für weiteres Nachdenken.
Eine ausführliche Besprechung des Buches findet sich auch in der Arbeiterpolitik von 2018
Ein interessantes Interview von 2019 dazu auf der Webseite des österreichischen Aufbruch.