Jede Regierung und jede Partei, die einen Vorschlag für eine Staatsausgabe macht, wird von der Gegenseite mit der Frage konfrontiert, wie soll das eigentlich finanziert werden? Unsere Alltagserfahrung lehrt uns, dass wir Geld ansparen müssen, bevor wir es ausgeben können und dass Schulden immer zurückgezahlt werden müssen. Wenn das für uns alle gilt, dann muss es doch auch für den Staat gelten. Die Modern Monetary Theory (MMT) gibt darauf eine andere Antwort.
Entstehung
Die Modern Monetary Theory entstand Anfang der 1990 Jahre in den USA, als sich Warren Mosler, ein Ökonom und Hedge Fund Manager, fragte, wie es mit der Zahlungsfähigkeit von Ländern Südeuropas aussehen würde. Könnten Länder wie die Türkei oder Italien ihre Staatsanleihen auch in einer prekären Lage bedienen, oder könnten diese Staaten bankrott gehen? Die überraschende Antwort gegen die herrschende Meinung war: nein, Länder mit einer eigenen Währung und Verschuldung in derselben, können nicht bankrott gehen, weil sie unbegrenzt Geld erzeugen können. Dabei bezog man sich auch auf die Geldtheorie von Georg Friedrich Knapp, dem Begründer des Chartialismus.
Die Theorie wurde in den USA von Linken Demokraten wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez aufgenommen, die daraus die Schlussfolgerung zogen, dass der Staat in bestimmten Situationen zur Krisenbewältigung und zur Durchsetzung von progressiven Forderungen mit Investitionen intervenieren könnte. Das schliesst an Keynes an, mit dem die MMT einige Schnittmengen hat. Gelegentlich wird die MMT als postkeynsianisch bezeichnet.
Wichtige Vertreter im englischsprachigen Raum sind beispielsweise Bill Mitchell und Stephanie Kelton, in Deutschland sind hier vor allem Maurice Höfgen, (der dazu auch ein leicht lesbares Buch Mythos Geldknappheit geschrieben hat) und Dirk Ehnts (Vorstandssprecher der Samuel-Pufendorf Gesellschaft für politische Ökonomie) als Propagandisten der MMT zu nennen. Auch auf der Seite von Makroskop (hinter Bezahlschranke) findet man interessante Artikel zur Diskussion über die MMT und Analysen aus Sicht der MMT.
Die Grundannahme der MMT
Die Grundannahme der Modern Monetary Theory ist, dass ein Staat in seiner eigenen Währung sich nicht überschulden, und damit auch nicht bankrott gehen kann. Der Grund dafür liegt darin, dass der Staat ein sogenannter Geldproduzent ist. Er kann Geld in beliebiger Höhe herstellen und ist nicht darauf angewiesen, zunächst Geld (über Steuern) einzunehmen, oder sich Geld (per Staatsanleihen) bei anderen zu besorgen. Mit dem produzierten Geld kann der Staat sich die Güter und Leistungen einkaufen, die er für sein Funktionieren benötigt.
Diese Grundannahme beinhaltet dabei implizit wiederum eine Voraussetzung, nämlich dass es sich um einen stabilen Staat handelt, der die benötigten Güter und Leistungen in seiner eigenen Währung bezahlen kann, oder so viel exportiert, dass er fremde Währungen ansammelt, mit denen er Waren im Ausland erwerben kann. Das trifft für die USA, Japan und einige europäische Staaten sicher zu, aber weniger für Staaten in Lateinamerika oder Afrika.
Warum aber sollten die Güterproduzent*innen und Leistungserbringer*innen überhaupt das Geld ihres Staates annehmen? Sie nehmen es an, weil der Staat verlangt, dass die Steuern, die er erhebt, in seiner Währung bezahlt werden.
Die MMT dreht also das Verhältnis um. Während die (neo)klassische Ökonomie davon ausgeht, dass der Staat etwas einnehmen muss, bevor er es ausgeben kann, sagt die MMT, dass der Staat erst mal Geld in seiner Währung ausgeben muss, damit er überhaupt etwas einnehmen kann.
Mehr im Detail kann man diese Grundannahmen auch in der Episode 25 des Podcasts Wohlstand für alle in etwa 30 Minuten anhören.
Die Staatsschulden
Mit diesem Ansatz hält der Begriff der „Staatsschulden“, der in der politischen Diskussion eine wichtige Rolle spielt, eine völlig neue Bedeutung. Es handelt sich nach MMT Verständnis überhaupt nicht um Schulden, sondern der Staat gibt das Versprechen ab, dass er das von ihm emittierte Geld als Steuerzahlung akzeptiert. Geld ist also für den Staat, anders als für alle anderen Akteure, kein knappes Gut, „Staatsschulden“ sind keine Schuld, sondern eine „Steuergutschrift“.
Stellt der Staat zum Beispiel fest, dass seiner Meinung nach die Klassengrösse in den Schulen zu hoch ist und er mehr Lehrer*innen einstellen möchte, so muss er nach klassischer Meinung zuallererst sich das Geld dafür besorgen. Das kann er entweder tun, indem er in seinem Haushalt irgendetwas anderes kürzt (Gegenfinanzierung), zusätzliche Steuern erhebt, oder eben Schulden macht (Kreditaufnahme). Nach Meinung der MMT ist dies alles nicht nötig. Der Staat kann das Geld für die gewünschte Ausgabe, das Einstellen von neuen Lehrer*innen, einfach auf Knopfdruck erzeugen.
Heißt das nun, dass der Staat unbegrenzt Ausgaben tätigen kann? Das verneint die MMT. Zwar ist nicht das Geld die begrenzende Größe, wohl aber die verfügbaren Ressourcen. Dem Staat mangelt es nicht an Geld, um zum Beispiel das Schienennetz der deutschen Bahn zu erneuern, aber wenn die dafür benötigten Ressourcen, die Materialien oder die Bauarbeiter*innen fehlen, dann stößt sein Vorhaben an Grenzen.
Es ist dabei auch wichtig, fest zu halten, das Staatsschulden in diesem Zusammenhang bedeutet, dass ein Staat Anleihen in seiner eigenen Währung ausgibt und dadurch sich „verschuldet“. Nimmt er Kredite in fremden Währungen bei privaten Gläubigern auf, so ist er kein Geldproduzent mehr und der gesamte Mechanismus ist ein ganz anderer. Interessante Informationen dazu gibt es in der Dokumentation Oeconomia von Carmen Losmann, die es sich wirklich lohnt, anzuschauen.
Die Inflation
Unter den angenommenen Voraussetzungen kann es auch nicht zur Inflation, einem andauernden Anstieg des Preisniveaus auf breiter Front, kommen solange der Staat brachliegende Ressourcen aktiviert. Erst wenn der Staat um bereits ausgelastete Ressourcen konkurriert, kommt es zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlich Nachfrage bei gleich bleibendem Angebot und damit zu einer Inflation, so die Argumentation der MMT.
Steuern
Wenn der Staat aber eigenes Geld drucken kann, um seine Vorhaben durchzuführen, warum sollte der Staat dann überhaupt noch Steuern erheben? Die Antwort der MMT ist, Steuern sind vor allem ein Steuerungsinstrument, kein Finanzierungsinstrument.
Durch Steuern entzieht der Staat den privaten Haushalten und den Unternehmen Kaufkraft, Geld verschwindet vom Markt, die Nachfrage wird gesenkt. Gleichzeitig werden Ressourcen frei. Diese kann der Staat nun selbst nutzen, um Aktivitäten, die er für wichtig hält anzuschieben.
Steuern sind darüber hinaus auch ein Mittel, Einkommen umzuverteilen, oder gesundheitsschädlichen Konsum zu verteuern – wie bei Alkohol und Tabaksteuer.
Die schwarze Null
Die offizielle Ansicht zu Staatsschulden, inzwischen ja in den Rang eines Verfassungsgrundsatzes erhoben, lautet grob gesagt, der Staat darf nur so viel ausgeben wie er einnimmt, alles andere wäre ein Vergehen an den kommenden Generationen, die wir mit Schulden belasten würden. Dazu ist zu bemerken, dass die “Schulden”, die der Staat macht, ja Guthaben auf der Seite der Gläubiger sind. Also selbst wenn die Argumentation richtig wäre, würde die nächste Generation mit Schulden auf der einen Seite und einem Guthaben auf der anderen Seite in die Zukunft gehen.
Die Schuldenbremse sorgt also nicht für Generationengerechtigkeit, sondern das staatliche Kreditaufnahmeverbot hat die Funktion und Wirkung: dem privaten Kapital die Türen zu öffnen, um sich in bisher staatlichen, gemeinwirtschaftlichen Bereichen breitzumachen und sie der Renditewirtschaft zu unterwerfen.
Ist die MMT eine linke Theorie?
Die MMT als Theorie sieht sich zunächst mal als deskriptiv an, sie beschreibt wie das Geldsystem funktioniert, und nicht normativ, was getan werden sollte. Ihre Vertreter*innen nutzen sie aber vornehmlich um soziale und progressive Forderungen zu unterfüttern und sehen sie als Ausweg für wirtschaftliche Krisen.
Hier setzt auch die Kritik von vielen Marxist*innen an, die der MMT vorwerfen, dass sie die grundlegenden Wirkmechanismen des Kapitalismus nicht verstehen oder nicht berücksichtigen würden. Hier spielt vor allem die Werttheorie von Marx eine Rolle, die von den meisten MMT-Vertreter*innen überhaupt nicht rezipiert wird.
Tatsächlich beschäftigt ich die MMT lediglich mit einem Teilausschnitt der Ökonomie (grob gesagt mit der Wirkungsweise des Geldsystems) und gibt auf andere Bereiche keine Antworten.
Eine zentraler Punkt der Auseinandersetzung ist die Frage nach der Rolle des Staates. In der MMT wird dem Staat mehr oder weniger eine neutrale Rolle zugeschrieben, der unabhängig von Klasseninteressen agiert und das Wohl aller im Auge hat. Marxist*innen argumentieren, dass der Staat keine neutrale Instanz sei, sondern (eine Sichtweise) als „Ideeller Gesamtkapitalist“ die übergeordneten Interessen des Kapitals, bzw. Partikularinteressen von dominierenden Kapitalfraktionen vertreten würden, oder aber auch (eine andere Sichtweise) ein Kampffeld im Rahmen der Klassenauseinandersetzung sei. Nimmt man das obige Beispiel des Bahnausbaus, so stellt sich Frage, ob der Staat wirklich an einem Ausbau des Schienennetztes interessiert ist, oder ob sich die Automobilindustrie durchsetzt und dies verhindert, oder ob durch die Privatisierung der Bahn nicht eine weitere Möglichkeit für Kapitalakkumulation geschaffen werden soll. In beiden letzten Varianten, würde der Staat nicht intervenieren, wobei es keine Frage der (fehlenden) Investitionsmöglichkeiten wäre. Insofern wäre die Antwort der MMT, wie dieses Problem, das auf der Oberfläche als „der Staat kann das nicht finanzieren“ erscheint, zu lösen wäre, zwar theoretisch richtig, aber praktisch irrelevant.
Natürlich wird die MMT auch von rechts und der neoklassischen Ökonomie kritisiert. Die Hauptargumente lassen sich in der Episode 28 von Wohlstand für alle in etwa 30 Minuten nach hören.
Die Kritik, die eher von links kommt wird in Episode 94 abgehandelt. Auch die Beiträge im generell empfehlenswerten Oxi-Blog, Geldspeicher, Gelddrucker und die Fantastillionen der MMT und Alle reden über MMT, sind dafür interessant.
Warum sollte die (marxistische) Linke sich mit der MMT beschäftigen?
Die MMT ist sicher keine Theorie, die erklärt, wie eine gesellschaftliche Transformation hin zum Sozialismus möglich ist, aber ich halte sie für einen wichtigen Baustein, um die neoliberale Erzählung von einem schwachen und unfähigen Staat zu widerlegen. Die Finanzkrise 2008 und auch die Corona-Krise haben gezeigt, dass die grundlegende Annahme der MMT wie das Geldsystem funktioniert, korrekt sind. In beiden Fällen wurden riesige Geldsummen aus dem Nichts erzeugt, 2008 lediglich zur Rettung des Bankensystems, 2020 schon in einer anderen Weise. Beide Krisen zeigen, dass der Staat als Akteur wirksam werden kann (und muss), in welcher Weise er wirksam wird, hängt nicht von den Einsichten der MMT, sondern von den konkreten Umständen und den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ab.
Die MMT ersetzt keine Erkenntnisse der Marxistischen Ökonomie, sondern ist nach meiner jetzigen Meinung komplementär. Im politischen Alltag ist sie ein Argument, um auf die immer wieder kommende Frage „Schöner Vorschlag, aber wo soll das Geld herkommen?“ eine Antwort zu haben.
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