In einer ehemaligen Zuckerfabrik in Andalusien hat sich das Unternehmen CleanContent niedergelassen. Hier säubern ihre Angestellten im Drei-Schichtbetrieb das, was gemeinhin soziale Medien genannt wird, von Gewalt, Hass und Schund. Das ist keine einfache Arbeit, weil die Beschäftigung mit den Abgründen der menschlichen Psyche auf das eigene Gemüt schlägt. Aber andere Arbeit gibt es in dieser Gegend nicht für Alejandro, den Protagonisten von Das Lemming-Projekt von Wolfgang Kaes.
Alejandro schaut sich seine ganze Schicht Videos und Bilder an, die Beleidigungen, Beschimpfungen und Grausamkeiten zeigen und muss entscheiden, ob dieser Inhalt auf der jeweiligen Plattform weiter veröffentlicht werden soll, oder gelöscht wird. Was einem wie eine absurde Idee vorkommen mag, ist tatsächlich Realität, seit Plattformen wie Facebook oder YouTube sich gezwungen sehen, ihren Content zu kontrollieren und eventuell zu säubern. Nicht Algorithmen, wie die Unternehmen behaupten, erledigen dies, sondern Tausende schlecht bezahlte Content Cleaner auf den Philippinen, wie man aus dem Film The Cleaners erfährt, von dem Kaes offensichtlich auch inspiriert wurde..
In Das Lemming-Projekt kommt hinzu, dass Alejandro immer wieder mit einem Bild konfrontiert wird, dass eigentlich gar nicht aus dem Internet stammen kann, weil es eine alte Schwarzweißfotografie aus der Schublade seiner Mutter darstellt, auf dem ein Kind auftaucht, das ihm ähnlich sieht, dass er aber nicht ist. Alejandro geht dieser Sache nach und stößt auf dunkle Geheimnisse seiner Familie und die unheilvolle Rolle, die ein katholischer Orden dabei spielt.
Wolfgang Kaes kennt sich aus in der spanischen jüngsten Geschichte und Gegenwart und beweist dies in vielen interssanten Details, die man in diesem Roman über Spaniens Gegenwart und Geschichte erfährt. So mischen sich in seinem Roman zwei Erzählstränge, einmal der über die die Auswirkungen des Geschäftsmodells der Internetkonzerne auf das Leben der Menschen und zum anderen mal der über die Auswirkungen einer nicht aufgearbeiteten klerikal-faschistischen.Vergangenheit in Spanien.
Dadurch lässt sich das Buch nicht immer flüssig lesen, denn es wirkt sich auf den Stil aus, weil Kaes seine Informationen darüber an den Lesenden bringt, dass die handelnden Personen oft Dinge erklären, die die Erzählung nicht unbedingt voranbringen. Das macht das Buch aber auch interessant, weil es nicht eindimensional ist, sondern eine komplexe Wirklichkeit beschreibt.