Eigentlich hatte man erwartet, dass nach den Wahlen in Katalonien etwas Ruhe in die politische Landschaft Spaniens einkehrt und für den Rest der Legislaturperiode des Spanischen Parlaments eine gewisse Stabilität zu erwarten sei.. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben gezeigt, dass diese Erwartung trügerisch war und einen regelrechten Dominoeffekt in Spaniens politischer Landschaft ausgelöst..
Das Manöver von PSOE und Ciudadanos, der PP in Murcia die Macht zu entreißen hat alles auf den Kopf gestellt und Isabel Díaz Ayuso hat mit dem vorzeitigen Aufruf zu Neuwahlen in der Comunidad von Madrid unter dem Vorwand eines nicht geplanten und nicht verhandelten Misstrauensantrags den nächsten Stein ins Fallen gebracht,
Den Beginn dieses Dominoeffekts kann man in Katalonien ausmachen.
Der Ausgang der Wahl in Katalonien
Die Wahlen in Katalonien mussten vorgezogen werden, nachdem dem bisherigen katalanischen Präsidenten Torra vom spanischen höchsten Gericht das Amt entzogen wurde. Die Wahlen fanden mitten in der Pandemie statt und hatten wohl auch deshalb eine historisch schlechte Wahlbeteiligung.
Die Ergebnisse
Der Anteil der Unabhängigkeitsparteien übersteigt erstmals 50% der Stimmen. Die Summe zwischen ERC, Junts, der CUP und PDeCAT liegt bei fast 51%, während sie bei den letzten Wahlen noch 47,5% der Stimmen bekamen. Bei den Sitzen erweiterten die Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit von 70 Abgeordneten, die sie in der letzten Legislaturperiode hatten, um vier und erreichten 74 Abgeordnete.
Die PSC hat an Stimmen und Sitzen gewonnen, mit 33 Abgeordneten, 16 mehr als sie hatte. Ihr Kandidat Illa hat es geschafft, dass die Sozialisten den roten Gürtel von Barcelona zurück eroberten, wo sie sich seit den Europawahlen 2009 nicht mehr bei einer Wahl durchgesetzt hatten,
Die Ciudadanos, die bei der letzten Wahl noch gerade in diesem Gürtel sehr erfolgreich waren, haben eine krachende Niederlage erlitten und verloren 30 ihrer 36 Sitze.
Die Comuns , die katalanische Repräsentation von Unidas Podemos, hat in etwa ihr Ergebnis gehalten, was angesichts der zugespitzten Situationen durchaus als Erfolg gewertet werden kann.
Die extreme Rechte ist mit elf Abgeordneten ins Parlament eingezogen. Das ist eine der Schlagzeilen dieser Wahlen und eine sehr schlechte Nachricht. Vox ist die vierte Kraft in der Kammer geworden und hat Ciudadanos und PP überholt. In Girona und Lleida sind weder PP noch Ciudadanos vertreten, während Vox in jeder dieser Landkreise einen Abgeordneten gewonnen hat.
Angesichts dieser Verhältnisse wird es wohl zu einer Wiederholung der Regierungskoalition zwischen ERC und Junts kommen, allerdings diesmal unter der Führung der ERC. Das bedeutet meiner Einschätzung nach weitere Jahre der Stagnation für Katalonien, weil die beiden Parteien unterschiedliche Strategien fahren und eigentlich auch unterschiedlichen politischen Lagern angehören. Eine rechnerisch mögliche Linkskoalition wird wohl nicht zu Stande kommen, weil die Animositäten zwischen PSC und ERC in Katalonien dies nicht ermöglichen.
Während in Katalonien nach der Wahl bis auf das Erstarken der extremen Rechten alles beim Alten zu bleiben scheint, hat das Ergebnis einschneidende Auswirkungen auf die spanische nationale Politik.
Das Scheitern der Ciudadanos
Das Fiasko von Ciudadanos in Katalonien war zwar erwartet worden, aber unklar war, welche Schlussfolgerungen die Parteiführung unter Ines Arrimadas daraus ziehen würde. Um das einschätzen zu können, muss man sich kurz die Geschichte und die Rolle der Ciudadanos vergegenwärtigen.
Die strategische Rolle von Ciudadanos
Ciudadanos wurde in Katalonien gegründet und war eine vor sich hindümpelnde Regionalpartei, bis 2015 der raketenhafte Aufstieg von Podemos die politische Landschaft Spaniens grundlegend veränderte. Ab nun war der herrschenden Klasse klar, dass der bequeme Mechanismus des Bipartismo, der abwechselnden Regierung zwischen Konservativen und Sozialdemokraten nicht mehr funktionieren würde. Die strategische Antwort war die Schaffung einer spanischen FDP, die zwischen Konservativen und Sozialdemokraten hin und her wechseln und für eine jeweilige Regierungsmehrheit sorgen sollte. So dachte man, Podemos und insgesamt das linke Spektrum von einer Regierungsbeteiligung fernhalten zu können.
Das funktionierte anfangs recht gut, die Ciudadanos legten sich zunächst ein linksliberales Profil zu und verhinderten erfolgreich eine Koalition zwischen Unidas Podemos und der PSOE nach den Wahlen von 2016 und der ersten Wahl in 2019. Diese Wahl bildete den Höhepunkt in der Geschichte der Ciudadanos. Der Absturz der PP liess sie plötzlich zu einer Alternative zur PP auf der Rechten erscheinen. Der Einzug der Vox ins Parlament veränderte darüber hinaus noch einmal die Gewichte auf der Seite der Rechten. Ein Rechtsschwung des Ciudadanos war die Folge. Dies bildete den Auftakt für eine noch stärkere Zusammenarbeit der Parteien des rechten Blocks und einer immensen Kampagne im Parlament und in der bürgerlichen Presse gegen die Koalition.
In der zweiten Wahl von 2019 kam es dann doch zu einer Koalition von PSOE und Unidas Podemos und einem dramatischen Rückgang der Ciudadanos, die 47 ihrer bisherigen 57 Sitze verlor. Dennoch gaben die Ciudadanos ihren Rechtskurs nicht auf.
Die zweite dramatische Niederlage, diesmal in Katalonien, scheint aber zu Neuüberlegungen In der Führung der Ciudadanos, beziehungsweise der hinter ihnen stehen den Kräfte, geführt zu haben.
Die Ereignisse in Murcia
In Murcia und der gleichnamigen Hauptstadt des Landes bildeten bisher die PP und die Ciudadanos eine Koalitionsregierung. Vor wenigen Tagen nun reichte die PSOE dort einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Murcia ein. Dieser war offensichtlich mit der Führung der Ciudadanos abgestimmt Und hätte zu einer neuen Koalitionsregierung zwischen PSOE und Ciudadanos in diesem Land geführt. Wenn nicht…..
…..Wenn nicht zwei Tage später drei Abgeordnete der Ciudadanos des Parlaments von Murcia, verkündet hätten, dass sie das Misstrauensvotum nicht unterstützen würden. Inzwischen sind alle drei als Minister*innen der PP-Regierung in Murcia vereidigt worden. Wie man Abgeordnete kauft, darin hat die PP Erfahrung.
Dabei steht der Erfolg oder Misserfolg des Misstrauensvotums immer noch in den Sternen, weil inzwischen drei Abgeordnete, die aus der Fraktion der Vox in Murcia ausgeschlossen wurden, sich öffentlich überlegen, ob sie den Misstrauensantrag unterstützen würden. Willkommen im Narrenhaus Spanien!
Die Reaktion in der Comunidad Madrid
Nachdem der erste Dominostein in Murcia angestoßen wurde, fiel der zweite in der Comunidad von Madrid. Dort rief Isabel Diaz Ayuso, Regierungschefin der PP und in einer Koalitionsregierung mit den Ciudadanos, Neuwahlen aus, aus Angst, dass ihr ebenfalls ein Misstrauensvotum blühen würde.
Das kam auch prompt und quasi zeitgleich, eingereicht von PSOE und Mas Madrid, der Abspaltung von Podemos, in Madrid. Das quasi zeitgleich, spielt eine große Rolle, weil nicht klar ist, was zuerst geschah. Hat Ayuso die Neuwahlen ausgerufen, bevor das Misstrauensvotum eingereicht wurde, wird es Neuwahlen geben. War es umgekehrt, sind Neuwahlen nicht mehr möglich, weil zunächst das Misstrauensvotum durchgeführt werden müsste. In dieser Frage geht es buchstäblich um Minuten und die Gerichte müssen entscheiden, ob es Neuwahlen oder ein Misstrauensvotum geben wird.
Die Situation in anderen Comunidades
Man muss abwarten, wie sich die Situation in den anderen Ländern, in denen die PP und Ciudadanos gemeinsam regieren, entwickeln wird. Auch hier können weitere Dominosteine fallen. In Castilla y Leon hat die PSOE ebenfalls einen Misstrauensantrag vorgelegt. Diese ist aber anscheinend nicht mit den Ciudadanos abgestimmt und wird wohl, zumindest bis jetzt, nicht von diesen unterstützt.
Mögliche Auswirkungen
Auch wenn die Lage momentan extrem unübersichtlich ist, so kann man doch festhalten, dass die Ereignisse der letzten Tage, zumindest mittelfristig und langfristig Auswirkungen auf die spanische Politik haben werden.
Die Stabilität der Regierungskoalition
Bisher konnte man davon ausgehen, dass die PSOE mangels Alternative zu Zugeständnissen an Unidas Podemos bereit wäre, oder besser gesagt, dass sie bereit wäre, die gemachten Zusagen einzuhalten. Wenn die Ciudadanos nun einen Schwenk hin zur PSOE vollziehen, dann ändern sich deren Optionen. Ein Bruch der Koalition noch in dieser Legislaturperiode scheint nicht mehr unmöglich. Die Fraktion innerhalb der PSOE , die eine Zusammenarbeit mit Unidas Podemos schon immer ablehnt, gewinnt an Handlungsspielraum.
Wie groß dieser Handlungsspielraum sein wird, hängt auch davon ab, wie die PSOE bei einer möglichen Wahl in Madrid abschneidet.
Die Lage der PP
In der PP ist der harte Rechtskurs des Vorsitzenden Casado nicht mehr unumstritten. Casado selbst hat in seinen letzten Äußerungen eine Rückkehr ins Rechte Zentrum anklingen lassen. Diesem angedeuteten Schwenk kommt nun die Lage in Madrid in die Quere. Gewinnt die PP in Madrid, so kann sie dort nur in einer Koalition mit der Vox regieren. Verliert die PP Madrid, dann ist das eine empfindliche Schwächung für die gegenwärtige Führung. Casado kann hier eigentlich nur verlieren. Für die PP steht gegenwärtig auf dem Spiel, dass sie droht, ihre Führungsrolle innerhalb des rechten Blocks an Vox abgeben zu müssen. Was das für die Zukunft der Partei bedeuten würde, ist nicht abzusehen.
Ciudadanos
Die Ciudadanos stehen vor einer harten Zerreißprobe. Teile der Partei wandern bereits zur PP ab, wie man das an den Ereignissen Murcia ja auch sehen kann. Erlebt sie das nächste Desaster bei einer eventuellen Wahl in Madrid, So kann es durchaus sein, dass sie von den Herrschenden fallen gelassen wird und in der Versenkung verschwindet.
Die extreme Rechte
Gewinner dieser ganzen unübersichtlichen Situationen könnte die extreme Rechte in Spanien sein, deren Kern sich augenblicklich zwischen Vox und eine Fraktion innerhalb der PP aufteilt. Wird die PP noch schwächer als bisher, so könnte es zu einerWiedervereinigung zwischen Vox und PP kommen. Stimmen dafür gibt es schon innerhalb der PP und nach einer möglichen Wahl in Madrid könnten diese noch lauter werden.